Fortuna und das Liebesglück

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (09.09.2008)

Carmina Burana, 06.09.2008, Basel

Jetzt szenisch in Augusta Raurica: Carl Orffs Kantate «Carmina Burana»
Im zweiten Anlauf gelang am Sonntag die szenische Aufführung der «Carmina Burana» von Carl Orff im Römertheater von Augusta Raurica. Ein sehenswertes Spektakel unter kühler werdendem Nachthimmel.

Das Theatervolk hatte sich vorgesehen: Einige brachten aufblasbare Kissen mit, andere eine Wolldecke, wieder andere ein heisses Getränk. Sogar Alu-Matten wie auf dem Campingplatz sah man. Die Spätsommerabende haben es punkto Temperaturen eben in sich.

Ein Hauch von Verona, Avenches oder Orange in Südfrankreich zog ins Baselbieter Römerstädtchen Augst ein: Musiktheater unter freiem Himmel, mit Bratwurststand und Shuttlebus. Erstaunlich wenige waren mit dem Privatwagen gekommen, die allermeisten mit dem öffentlichen Verkehrsmittel. Eine Voraussetzung dafür, dass das römische Theater, das ja in einem Wohngebiet liegt, vermehrt als Aussenspielstätte des Theaters genutzt werden kann.

STORY. Orff hat seine 1937 uraufgeführte Kantate immer als szenische verstanden, auch wenn er keine genauen Angaben zur Bühnenumsetzung machte. In der zur Saisoneröffnung gebotenen Basler oder eben Augster Produktion wird der Liederreigen aus dem Mittelalter als Geschichte eines Suchenden erzählt. Ein schwarz gekleideter Mann ist, obwohl «kein Frauentyp», auf der Suche nach seiner idealen weiblichen Ergänzung. Und trifft auf einen Mann, der alles hat, was ihm fehlt: Charme, Lockerheit, Erfolg. Ein blendend weisser Sonnyboy – der letztjährige Orfeo-Darsteller Nikolay Borchev mit gepflegtem, nie parodistischem Bariton –, der dem Schwarzen Angst und Neidgefühle einjagt.

Später werden wir den Suchenden – Karl-Heinz Brandt singt und spielt ihn mit der Vitalität des Schwerenöters – als Schwan im Kochtopf wiedersehen. Nur dass der Topf hier durch eine Erdkugel ersetzt ist, auf der Teufelsgestalten mit feixenden Fratzen und obszönen Verrenkungen herumkraxeln. Armer Schwan. Armer Mensch. Armer Orff.

bogen. Das Freiburger Aktionstheater Pan.Optikum bringt die Spielanlage von Carl Orff, in der sich mittelalterliche Trinklieder, Priesterparodien, Liebesklagen und Schicksalsanrufungen zu einem bunten Knäuel verwirren, unter einen grossen Bogen, der da heissen könnte: auf der Suche nach dem Glück. Und dieses Glück – «O Fortuna!» – heisst Liebe. Nötig ist ein solches Zurechtbiegen eines bunten Reigens zu einer stringenten Geschichte wahrlich nicht. Und es geht auch nicht ohne Verluste ab: Orffs scharfe Kirchenkritik im Satz «Ego sum abbas» wird nicht ausgespielt, bleibt auch sängerisch blass. Erotisches ist durch Obszönes ersetzt.

kontrast. Dafür evoziert die Geschichte eines Suchenden alle erdenklichen zirzensischen, pyrotechnischen und illusionistischen Effekte. Da gibt es Kletteraktionen der Teufelsfratzen, die einen erschauern lassen. Da steigen zu kitschiger Beleuchtung Luftballons am Firmament auf, die Feuerwerkskörper transportieren – ein schlichtes Pendant zu dem erotisch aufgeladenen Text im Schlussteil. Und da gibt es, stets in klarem Schwarz-Weiss-Kontrast wie ein Yin-und-Yang-Symbol, verführerische Frauengestalten im Glücksrad, die nicht nur dem armen Brautwerber den Kopf verdrehen. Am Ende wird sich die weisse Figur als stimmlich berührende Sopranistin (die junge Emilie Pictet vom Opernstudio) entpuppen.

«Carmina Burana», das ist nicht zuletzt ein genial auf knallige Wirkung abzielendes Chorwerk, und einige der intensiveren Effekte dieser Produktion gehen denn auch aufs Konto des Chores und der Chorregie. Die von Georges Delnons Gattin Marie-Thérèse Jossen entworfenen Kostüme sind auf wunderbare Weise variabel, und wenn die diversen Umkleideaktionen des Chors noch reibungsloser gelängen, wäre der filmische Illusionseffekt – manches erinnert da ohnehin an die Verfilmung von Ecos «Der Name der Rose» – perfekt (Bühne: Matthias Bringmann).

defizit. Wie bereits in der konzertanten Aufführung im Theaterfoyer (baz von gestern) dirigiert Bartholomew Berzonsky den fast dreihundertköpfigen Apparat mit der basel sinfonietta im Zentrum. Die spielt in Augst unter einem Zeltdach und wird elektronisch verstärkt. Während die Verstärkung der Solisten- und Chorstimmen einigermassen passabel hinüberkommt, klingt das Orchester arg künstlich, und in einzelnen Sätzen wie etwa in «Ecce gratum» stechen die Hörner unangenehm heraus. Da muss noch an der akustischen Feinabstimmung gearbeitet werden.

Zum guten Ende langer Beifall für eine Produktion, die schon jetzt als Kassenerfolg des Theaters Basel verbucht werden darf.