Gespenstische Visionen

Hanspeter Renggli, Mittelland-Zeitung (08.09.2008)

Les Contes d'Hoffmann, 06.09.2008, Bern

Stadttheater Bern
In Offenbachs «Les Contes d'Hoffmann» dominieren düstere Bilder.

Dass das Regieteam der Berner Inszenierung (Regie Johannes Erath) von Jacques Offenbachs «Les Contes d'Hoffmann» vor allem die schwarze Romantik bedienen wollte, zeigte sich gleich zu Beginn, wenn die Trinkgesellschaft gespensterhaft in ihren schwarzen Fräcken und Zylindern auftaucht. Es ist faszinierend, wie Erath diese Gesellschaft im Akt der Maschine Olympia zu Puppen mutieren lässt, die an Fäden tanzen, im Venedig-Akt sind sie unmissverständlich. Die ständige Präsenz des Todes unterstreicht das Traumatische noch, sei dies in Form der Truhe, in der die Puppe Olympia liegt, sei dies im schwarzen Flügel, den der diabolische Arzt Miracle zum Sarg der Sängerin Antonia umfunktioniert oder schliesslich im Grab des Schlussbilds, aus dem, wenig verheissungsvoll, das Ehebett von Hoffmann und Muse gehoben wird.

Die Wahrheit komme aus einem Brunnen, sagt die Muse in der ersten Szene. Dies dürfte wohl für Kaspar Glarner (Bühne) den Ansatz gebildet haben. Das Innenleben einer grossräumigen ausgedienten Zisterne dient denn auch als Prospekt zu Offenbachs fünfaktiger fantastischen Oper. Das Fantastische übersetzen Ausstatter und Regie in eine traumatische Welt. Besonders schrill kontrastiert diese Welt der Phantome mit dem erzählerischen Ausgangspunkt: Der Dichter Hoffmann hat seine Muse geheiratet, die dessen wüsten Träume über seine angeblichen Liebschaften mit Argwohn begleitet. Am Ende erweist sich allerdings auch dieser bürgerliche Wirklichkeitsrahmen als traumatische Vision, als Trug und Projektion. Wer sich mit Offenbachs «Contes» auseinandersetzt, weiss um die Fülle an Fassungen und Ausgaben der unvollendeten Oper. In Bern wurde eine Mischfassung mit Kürzungen gewählt. Ein Anderes sind die allzu deutlichen Umbaupausen. Aber auch innerhalb der Bilder wirkt manches fragmentiert. Die Musik findet kaum Kompaktheit, Schwung und Intensität. Die Sängerleistungen vermögen diesem Eindruck wenig entgegenzuhalten. Fabrice Dalis (Hoffmann) versprüht weder tenoralen Strahl noch gelingt es ihm, die Faszination, die von ihm ausgehen soll, in klanglichen Ausdruck umzusetzen. In den Frauenrollen überzeugen vor allem Claude Eichenberger als Muse und Fabienne Jost als Giulietta, während die Schärfe von Heidi Wolfs Sopran (Olympia) sich durch die Puppenpartie rechtfertigen lässt und Hélène Le Corre als Antonia in hohen Lagen mit unschönem Druck funktionieren muss. Mit Höhenschwierigkeiten kämpft auch Carlos Esquivel, gefällt aber mit seinem dunklen Bariton als Intrigant und Bösewicht.

Erstaunlich unsicher, mit regelrechten Ausrutschern vor allem in den Streichern, ja geradezu uninspiriert klingt das Berner Symphonieorchester unter Srboljub Dinic. Das Gespreizte in den Chören des Antonia-Akts, die auch sonst manche Koordinationsprobleme aufweist (Leitung Lech-Rudolf Gorywoda), wirkt fade, das Dämonische platt und das Quirlige lahm. Hier ist noch ein gewaltiges Potential hochzufahren. Das Berner Publikum bedachte die erste Saisonpremiere trotz unüberhörbarer Defizite mit beachtlichem Beifall.