Die Verführten sitzen im Publikum

Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung (09.09.2008)

Don Giovanni, 07.09.2008, Luzern

Luzerner Theater: «Don Giovanni»

Er ist ein Frauenheld wie aus dem Bilderbuch. Aber er verführt Frauen nur zum Spass: Der Luzerner «Don Giovanni» macht überraschend Ernst mit der Komödie.

Knallt es oder nicht? Tobias Hächler singt die berühmte Champagner-Arie quasi mit dem Finger am Abzug: Die Flasche in einer Hand, die andere am Korken, präsentiert er sich mit jugendlich-überschäumendem Temperament als Don Giovanni. Kein abgehalfterter Lebemann, sondern einer, dem man das Draufgängertum in erotischen und anderen Abenteuern abnimmt. Doch dann, wenn der Korken zum Schluss tatsächlich losgeht, plumpst er schlapp in den Orchestergraben.

Hächler gibt zwar im Luzerner Theater mit hinreissender Körperpräsenz und packender Stimme einen Vollblut-Don-Juan wie aus dem Bilderbuch. Einer, der sich lasziv räkelt, der ungestüm aufstampft und verführerisch säuselt. Aber Erfolg hat er damit bei den Frauen auch hier nicht: Denn Mozarts Don Giovanni ist als barocker Lebemann Repräsentant einer absterbenden Epoche: Im Verlauf der Oper bringt er keine Verführung zum glücklichen Ende, muss sich gar mit einem Mord aus der Affäre ziehen und wird schliesslich das Opfer eines Rachefeldzugs seiner betrogenen Opfer.

Alltagsnah

Neu ist in der Inszenierung von Stephan Müller (vgl. Ausgabe vom Sonntag), dass ihm das egal ist: Müller sieht Mozarts berühmteste Opernfigur als «Wohlstandsverwahrlosten» und zeigt ihn als Musterexemplar der Spassgesellschaft. Für diesen Don Giovanni ist selbst die Leidenschaft für die Frauen nur ein Game. Auch Niederlagen machen Spass, weil sie zu neuen Zügen zwingen. Die Freiheit, die Don Giovanni mit seinem Fest für alle feiert, ist nur die Gleichgültigkeit eines verschwenderischen «Anything goes».

Die Inszenierung nimmt damit die einst romantisch überhöhte Oper als Komödie ernst, ohne in verstaubte Buffo-Klischees zu verfallen. Zum Ernst gehört die Einheitsbühne von Werner Hutterli: Ein dunkler, gefängnisartig abgeschlossener und vielfältig aufgeschlitzter Spielraum, der sich im atmosphärischen Licht erstaunlich wandelt ­ bis hin zur Kathedralenmagie bei den Erscheinungen des Komturs. In diesem strengen Rahmen inszeniert Müller mit so alltagsnaher wie zeichenstarker Personenregie eine schwarze Komödie mit Charakteren von zeitloser Aktualität.

Sie sprechen uns ganz direkt an, wenn etwa Don Giovannis Diener Leporello dessen Frauenkatalog aus dem Telefonbuch runterleiert ­ mit Blick zu dieser oder jener Dame im Publikum, die der Blick der betrogenen Elvira mit köstlicher Verachtung straft. Die schlichte Eleganz der Kostüme von Mechthild Feuerstein wahrt dabei geschickt die Verbindung von heutigen Lebensgefühlen zum Original.

Unerwartete Sängerakzente

Dass der Fokus auf der Komödie liegt, spiegelt sich in der Sängerbesetzung mit überraschenden Akzenten. Simone Stock ist mit ihrem geschmeidigen Sopran keine dramatisch aufbegehrende, sondern empfindsame Donna Anna, der man die Irritation darüber, dass sie sich Don Giovannis Charme nicht entziehen kann, ohne weiteres glaubt. Plausibel ist da auch, dass sie den Verlobten Don Ottavio auf Distanz hält (ein ganz anderes Beziehungsgame), obwohl Tomasz Zagorski dieser Rolle überraschend männliches Profil gibt: mit einem Tenor, der nicht dem schlanken Idealtypus einer Mozartstimme entspricht, aber über Wärme und Durchsetzungskraft verfügt.

Madelaine Wibom als betrogene Ehefrau Elvira mischt in der Aufregung ihrem hellen Sopran auch schrille Farben bei und wird zur treibenden Kraft in der Jagd auf den verantwortungslosen Genussmenschen. Marc-Olivier Oetterli als Leporello, Boris Petronje als Masetto (und Komtur) und Sumi Kittelberger als Zerlina geben den turbulenten Gruppenszenen mustergültig einen Schuss unbeschwertes Theaterblut.

Grossen Anteil am hohen Niveau der Produktion hat das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von John Axelrod. Schon die Ouvertüre zeigte mit fauchenden Akkorden, tänzelndem Drive und schlank gespannter Tongebung in den Geigen, wie das Mozartspiel des Orchesters von den Erfahrungen als Barock-Formation La Gioconda profitiert. Abgesehen vom nicht ganz homogenen Sängerensemble zeigte die Produktion einmal mehr, dass das Theater das Potenzial hat, dereinst in der prestigeträchtigen Salle Modulable eine entscheidende Rolle zu spielen.

Bald in Leuenbergers Blog

Der Schlussapplaus liess keinen Zweifel daran, dass dieser «Don Giovanni» ein Renner der Saison sein wird. Bestätigt wurde das von höchster Stelle: Bundesrat Moritz Leuenberger, der diese Produktion im Rahmen von Lucerne Festival besuchte, war schon beim Pausenempfang begeistert über diesen «"Don Giovanni" wie aus einem Guss». Und fügte ganz am Schluss hinzu: «Dies ist der beste "Don Giovanni", den ich je gesehen habe.» Leuenberger versprach denn auch, über diesen Theaterabend auf seinem Blog zu berichten.