Der Held als Schnösel

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (09.09.2008)

Don Giovanni, 07.09.2008, Luzern

Stephan Müller inszeniert am Luzerner Theater zur Saisoneröffnung W. A. Mozarts Oper «Don Giovanni» mit viel Leichtigkeit.

Ist es nicht wundervoll, wie einfach Oper auch funktionieren kann und doch ein Theater voller Luzerner Menschen berührt? Natürlich ist es nicht irgendeine Oper, die Stephan Müller in Luzern inszeniert und John Axelrod dirigiert. Nein, es ist die Oper der Opern › W. A. Mozarts «Don Giovanni».

Müller zeigt eigentlich nicht mehr als das, was es landläufig in einem «Don Giovanni» zu sehen gibt. Aber er kreiert diese Bilder mit so leichter Hand, dass die Geschichte wundersam entschlackt wirkt. Und auch wenn vieles realistisch gezeigt wird, bleibt dieses Spiel dennoch unter einem theatralen Schleier verborgen: Nicht alles muss bis ins Detail «logisch» ausgedeudet sein.

Es gibt nichts Aufgesetztes, vieles greift natürlich ineinander. Einen faszinierenden Gedanken offenbart die «Katalogarie» Leporellos. Für gewöhnlich erzählt er darin der unglücklich verliebten Elvira prahlend von den 2065 von seinem Herrn verführten Frauen. Hier ist es gar nicht so klar, ob es diese Frauen überhaupt gibt. Die vermeintliche Frauenliste ist ein Telefonbuch, das Leporello zufällig findet. Die vor Liebe blinde Elvira lässt sich davon täuschen. Doch wenn Giovannis Frauen nur Bluff sind, was hat diese Figur dann noch zu bieten?
Diese Frage kann Stephan Müller nicht ganz beantworten › und sie ist gar viel Last für die jungen Schultern des Schweizer Baritons Tobias Hächler in der Titelrolle. Hächler zeigt eine Figur, die im Sog ihrer Überlegenheit lebt, die losgelöst von ihren Mitstreitern durch ihre letzten Stunden rast. Aber nicht immer ist er der Jüngste, der Überlegene, ja bisweilen weiss auch Don Giovanni nicht mehr weiter.

Wo die Regie keine pfannenfertige Lösung zeigen will, bringen die Kostüme oder das Lichtspiel mannigfaltigen Theaterzauber. Man staunt, was die kahle Bühne (Werner Hutterli), die bloss mit einer Handvoll Requisiten angereichert wird, alles an Stimmungen hergibt.

Famos sind auch die Leistungen von Dirigent John Axelrod und dem Luzerner Sinfonieorchester: Toll, wie schlank gespielt wird, wie viele Details liebevoll herausgearbeitet sind und wie mächtig der Ton werden kann. Die Sänger werden vorbildlich geführt › und Titelheld Hächler verblüfft. Sein Bariton ist hell, gewiss, aber das heisst nicht, dass er bisweilen nicht dämonisch klingt.

Das gesamte Ensemble spielt nicht nur sehr gut, sondern singt auch durchs Band auf sehr hohem Niveau. Marc-Olivier Oetterli gestaltet die Partie des Leporello mit all ihren Zwischentönen, Simone Stock ist eine Donna Anna, die dank dramatischem Furor der mädchenhaften Gestalt eine weitere Dimension durch die Musik gibt. Madelaine Wibom (Elvira) und Tomasz Zagorski (Ottavio) gehen bis an ihre Grenzen, zeigen aber in Spiel und Gesang zwei prächtige Rollenbilder. Mit Sumi Kittelberger hat Luzern eine ideale Zerlina, mit Boris Petronje einen starken Masetto, der locker in die Rolle des Komturs schlüpfen kann. Wohin er Don Giovanni zum Schluss führt, ist nicht ganz klar. Aber das ist eine Qualität dieser Aufführung: Der Zuschauer wird zum Weiterdenken angeregt › dazwischen darf gelacht wie gestaunt werden.

Wenn die Frauen nur ein Bluff sind, was hat dieser Don Giovanni dann noch?