Sinnliches, poetisches Theater

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (09.09.2008)

Carmina Burana, 06.09.2008, Basel

Theater Basel
Die zweite Aufführung von «Carmina Burana» konnte unter freiem Himmel in Augst stattfinden. Bezaubernd die Bilder von Pan.Optikum.

Erst die zweite Vorstellung von Carl Orffs «Carmina Burana», den weltlichen Gesängen für Soli und Chor mit Begleitung von Instrumenten und Bildern, wurde fürs Theater Basel zur eigentlichen Premiere und würdigen Saisoneröffnung im Römischen Theater in Augst › in den Bildern, die das Freiburger Aktionstheater Pan.Optikum zu «Carmina Burana» geschaffen hat. Es begeisterte und verzauberte damit die Zuschauer im völllig ausverkauften Freilicht-Theater. Der Ausflug des Theaters Basel ins Baselbiet hinaus nach Augst erweist sich als grosser Erfolg. Bereits musste eine Zusatzvorstellung angesetzt werden.

Das Römische Theater wurde von Pan.Optikum für «Carmina Burana» zur Arena ausgebaut. Der weit über 100-köpfige Chor und die Solisten singen und spielen auf den antiken Zuschauerreihen. Gegenüber steht die Publikumstribüne. Die Arena symbolisiert das Rad der Göttin Fortuna, deren unvorhersehbares Treiben im ersten Gesang beklagt und beschworen wird. Zudem macht die Arena akustisch Sinn, obwohl es unter freiem Himmel auch hier nicht ohne die Unterstützung elektronischer Verstärkung geht. Das Orchester, die Basel Sinfonietta, spielt unten im Arena-Rund › fürs Publikum nicht sichtbar.

Eine Geschichte von heute und von uns erzählt uns Pan.Optikum zur «Carmina Burana», Orffs Vertonung von 24 Gesängen aus der gleichnamigen Sammlung mittelalterlicher Vagantenlyrik. Unzufrieden ist der Mann des 21. Jahrhunderts nicht mehr, weil er vergeblich nach letzter Erkenntnis sucht, sondern weil er vergeblich Liebe sucht, die er über reinen Sex und Vergnügen zu erhalten glaubt. Dem Tenor kommt diese Rolle zu. Karl-Heinz Brandt, der aus dem Publikum in die Arena steigt, spielt sie ausgezeichnet › mit ironischer Distanz.

Er entwirft sich eine eigene Welt von Sinnlichkeit mit einer weissen und einer schwarzen Frau und einem bei Frauen erfolgreichen Alter Ego, das sich zugleich zum Widerpart entwickelt › dies zu den Gesängen des ersten Teils, in dem der Frühling und das Liebes-Begehren besungen wird.

Weiss und Schwarz sind die Kostüme (Marie-Thérèse Jossen). Weiss und Schwarz sind als die Pole der Welt gesetzt, Symbol für Hell und Dunkel, Nacht und Tag, Glück und Pech. Schwarz ist der Hauptprotagonist, weiss sein Alter Ego, das die Herrschaft ergreift in der imaginären Welt. Bariton Nikolay Borchev spielt mit herrlicher Arroganz.

Frauen und Liebe bleiben für den Schöpfer der Fantasie-Welt unerreichbar. Nur er selbst fällt immer mehr in diese hinein. Zu den Gesängen vom Spielen und Saufen in der Taverne wird er von den Dämonen, die er selbst gerufen hat, in ein Konstrukt von Weltsymbol und Glückskugel eingesperrt. Hier brillieren die Akrobaten von Pan.Optikum. Das Lied des Tenors, der als schwarzer Schwan auf dem Feuer schmort, wird zum Zentrum der Aufführung und symbolisch gedeutet: Hier endet bitter das Spiel mit dem Glück. Brandt singt herrlich im Ton zwischen Angst und kläglicher Klage.

Der dritte Teil ist eine Hymne auf die erwachende, sich zu schönsten Höhen aufschwingende Liebe zwischen Mann und Frau › in berückenden, kunstvoll ausgeleuchteten Bildern dargestellt. Schwarz und Weiss verschmelzen. Pan.Optikum spielt mit schönen pyrotechnischen Effekten, lässt die Liebesfantasien als weisse Ballone in den Himmel entschweben.

Die Bildsprache von Pan.Optikum zieht den Bogen von der Antike über das Mittelalter bis in unsere Gegenwart. Sie ist in ihrer Poesie und suggestiven Kraft ein schönes Kunstwerk.

Hauptfigur in «Carmina Burana» ist der Chor. Die von Henryk Polus bestens vorbereiteten Chorgruppen mit dem professionellen Theaterchor, den vielen Laien aus der ganzen Region und der Knabenkantorei Basel meistern dieser Rolle bravourös. Erstaunlich, wie perfekt gesungen und gestaltet wird - sowohl in Orffs prägnanter Rhythmik als auch in den lyrischen Passagen. Hervorragend die Solisten: Nikolay Borchev singt mit agilem ausdrucksstarkem Bariton. Von feiner Sinnlichkeit und sicherer Höhe ist der Gesang der Sopranistin Emilie Pictet.
In seiner Kraft, Emotionalität und Genauigkeit packt das Spiel der Basel Sinfonietta unter Dirigent Batholomew Berzonsky der Orffs Partitur packend umsetzt.