Kleines Geheimnis - grosser Betrug

Herbert Büttiker, Der Landbote (11.09.2006)

Il segreto di Susanna, 09.09.2006, Zürich

Ein Dirigent, zwei heitere Opern: Mit «Il segreto di Susanna» und «Gianni Schicchi» feiert Nello Santi im Opernhaus seinen 75. Geburtstag: ein feines Fest.

Seit 1958 leitete Nello Santi im Opernhaus Jahr für Jahr eine oder mehrere Premieren, aber sein Repertoire ist gross, und so serviert er zum Jubiläum ein Stück, das er hier noch nie dirigiert hat: «Il segreto di Susanna» von Ermanno Wolf-Ferrari, ein kurzes, leichtes Werk, wie der Duft einer Zigarette (ein paar Huster inklusive), passend zum Anlass mit dem nostalgischen Zauber einer vergangenen Opernwelt zum Anlass, und eine glückliche Wahl, um für einmal im Familienverband in Zürich eine Premiere zu bestreiten.

Dass die Darstellerin der Titelfigur, Adriana Marfisi, Santis Tochter ist, ist schon lange kein Geheimnis mehr, beim «Segreto» der Susanna geht es um etwas anderes: Die frisch verheiratete Frau raucht hinter dem Rücken ihres Mannes. Dieser hasst den blauen Dunst, und seine Nase ist sensibilisiert: Unvermeidlich, dass sich Susannas Laster verrät, aber unvermeidlich auch, dass Gil den lästigen Duft einem fremden Mann zuschreibt. Das gibt Wolf-Ferraris spritziger und melodiöser Musik den Pendelschlag von der duftigen Hymne auf den kringelnden Rauch zum polternden Otello-Fortissimo.
Als er Susanna in flagranti ertappt, ist Gil über die Art der Liebhaberei seiner Frau so sehr erleichtert, dass er sich schnell dazu verführen lässt, ebenfalls eine Zigarette zu rauchen – und da sehen wir, wie unzeitgemäss das Stück ist. Der Hinweis, dass Rauchen unserer Gesundheit schadet, fehlt im Opernhaus denn auch nicht. Aber sonst bleiben zeitgeistige Anspielungen beiseite. Grischa Asagaroff und der Ausstatter Luigi Perego lassen Susanna und Gil samt dem stummen Diener standes- und zeitgemäss (Uraufführung 1908 in München, 1911 in Rom) im reizvoll-perfekten Jugendstilambiente agieren. Paolo Rumetz bewegt sich darin musikalisch wie mimisch ein wenig steif auch in der cholerischen Anwandlung und damit ebenso stimmig wie umgekehrt Adriana Marfisi mit der Eleganz der Mucha-Figuren wetteifert. Mit Eleganz und warmer Italianità meistert sie auch die lyrischen Anforderungen der Partie. Neben einer gewissen Schärfe entfaltet ihr Timbre den Charme genug, um auch hartnäckige Nichtraucher zu betören, wie der Applaus vermuten liess.

Keine Höllenpein

Mit den ersten Takten von Giacomo Puccinis «Gianni Schicchi» wird klar, dass man es mit einem Dramatiker zu tun hat, der über Wolf-Ferraris pièce bien faite weit hinaus ist. Um eine kleine Komödie handelt es sich zwar auch da, aber in dissonanten Schärfen und instrumentalen Grotesken wird eine böse Geschichte aus dem alten Florenz erzählt. Den Verwandten, die sich über das Testament ihres reichen Familienoberhauptes ärgern, verspricht Gianni Schicci Hilfe. Er legt sich ins Bett des Verstorbenen, mimt vor dem Notar den schwer Kranken und diktiert ein neues Testament – natürlich zu seinen eigenen Gunsten. Der Schachzug ist der Sieg eines Gerechten in Anführungszeichen. Der verachtete Emporkömmling wischt den Alteingesessenen eines aus und übergibt die Stadt dem jungen Paar, Rinuccio, dem jüngsten Spross des beerbten Hauses, und Lauretta, seiner Tochter. Eine «Revolution» also, die Dante dazu brachte, Gianni Schicchi im achten Höllenkreis einen Platz zuzuweisen.

Aber zuerst sicherte ihm Leo Nucci den Triumph auf der Bühne, und er sorgte dafür, dass der Zuschauerraum am Ende alles andere als ein Höllenkreis war. Das Werk fordert den Erzkomödianten heraus, und Nucci gab ihm mit pfiffiger Mimik und baritonalem Grimm, aber auch Falsett und Schalk alles, was dazugehört. Viel Applaus auch für Adriana Marfisi und das berühmte «O mio babbino caro», für Fabio Sartoris belcantistischen Rinuccio und für das ganze Ensemble, das gepfefferte Karikaturen der am Totenbett lauernden Erbschleicher abgibt.

Auch dieses Stück haben Grischa Asagaroff und Luigi Perego auf ungesuchte Art, aber pointenreich und mit der gebührenden Prise schwarzen Humors inszeniert: Kein Anflug von Regie(will)kür, sondern die Spielvorgabe für eine Fülle starker Sängerleistungen und nicht zuletzt für den Dirigenten Nello Santi, ein Monolith voller innerer musikalischer Vibration, noch immer voller zupackender Energie und mit konzentrierter Präsenz, mit der er Ensemble und Orchester an straffen Zügeln führt.