Vergeblicher Rettungsversuch

N.N., Der Bund (16.09.2008)

Lucia di Lammermoor, 14.09.2008, Zürich

Gaetano Donizettis «Lucia di Lammermoor» als erste Opernpremiere am Opernhaus Zürich

Elena Mosuc in der Titelpartie der Lucia begeisterte bei der Premiere in Zürich sowohl als Sängerin wie als Darstellerin. Durchzogen fiel dagegen die Leistung des italienischen Regieteams aus.
Als Opernhausintendant Alexander Pereira im letzten Mai die jetzt angelaufene Saison präsentierte, schraubte er die Erwartungen an Damiano Michielotto, Paolo Fantin und Carla Teti, das Regieteam für «Lucia di Lammermoor» hoch: «Endlich wieder ein interessantes italienisches Regieteam, nachdem wir im italienischen Fach oft enttäuscht wurden.» Mit dem zweiten Teil des Satzes schloss sich Pereira der Mehrheit der Kritik an, die schon lange bemängelt, wie am Opernhaus gerade (aber nicht nur!) bei Puccini, Verdi oder Donizetti musikalische und szenische Qualität auseinanderklaffen.

Musikalische Ungenauigkeiten

Ziemlich genau 50 Jahre nach seinem ersten Auftritt in Zürich dirigiert Nello Santi wieder eine Premiere. Von Routine im negativen Sinn ist dabei aber nichts zu hören. Die Introduktion klingt fahl und mit abgerissenen Tönen und führt in eine düstere Geschichte. Der Bühnenraum von Dario Fantin, dessen schwarze Leere von einem schrägen, halbzerstörten Turm dominiert wird, bestätigt den Höreindruck optisch. Bald jedoch fallen auch Ungenauigkeiten im Zusammenspiel auf, macht Santi dem soliden Orchester und den Sängern auf der Bühne das Leben mit einer Vielzahl von Tempoänderungen schwer, die weit über Rubati hinausgehen und deren Sinn nicht immer einleuchtet. Eigenartige Pausen brechen immer wieder den Fluss, etwa unmittelbar vor Ende des Sextetts oder vor dem letzten Ton von Lucias Wahnsinnsszene. Zudem gibt Santi den Sängern gerade dynamisch sehr viel Freiheit. Effekt ist bei den Männern (abgesehen von Laszlo Polgar als Priester) oft ein lautes Singen mit Überdruck. Dabei zeigt Santi in der Begleitung von Elena Mosucs Lucia auch, wie viel intensiver leise Töne sein können.

Vorsichtige Aktualisierung

Dem durchzogenen musikalischen Eindruck steht eine Regie gegenüber, welche die Tradition sanft entrümpelt, gerade in der Personenführung und der steifen Behandlung des Chores aber kaum befriedigt. Mit der «Weissen Frau» (Rachel Braunschweig) führt er eine neue stumme Figur ein. Sie bringt die leitmotivisch für die verbotene Liebe stehende Rose und zerbröselt sie; sie bringt aber auch das Messer, mit dem Lucia ihren angezwungenen Gatten Arturo (sängerisch und darstellerisch nah an der Karikatur: Boiko Zvetanov) später im Wahn umbringen wird. Die Regieideen bleiben zu isoliert. Der Schritt zu einer Aktualisierung der Geschichte wagt Michielotto nicht. Überlegungen wie die Hysterisierung der Frau, die sich dem nicht fügen will, was ihr die Männerwelt zuteilt, bleiben auf der symbolistischen Ebene versteckt. Vielleicht auch, weil die Besetzung das Stück traditionell versteht. Als böser Bruder Enrico fällt Massimo Cavaletti mit Missverhältnis von Lautstärke und Ausdrucksreichtum auf. Dafür singt sich Vittorio Grigolo, 31-jähriger Italiener mit Doppelkarriere als Schlager- und Opernsänger, per Überwältigungsstrategie in die Herzen des Publikums. Ganz Latin Lover schmachtet und leidet er herzerweichend und mit attraktiv hellem, ausdrucksstarkem Tenor.

Tenoraler Überdruck

Allerdings ist da alles zu viel, wirkt künstlich und bisweilen, als spiele er die Parodie eines italienischen Tenors. Man braucht kein Hellseher zu sein, ihm mit seiner Technik kaum mehr als zwei Jahre zu geben. Jetzt schon gelingt kaum eine der vielen angesetzten Piano-Phrasen, hohe Töne trompetet Grigolo ins Haus, als gälte es ein Stadion zu füllen.

Grossartige Wahnsinnsszene

Bleibt Elena Mosuc in der Titelpartie als ungetrübter Glücksfall. Vom ersten Ton an gestaltet sie singend eine Figur, nutzt die Technik des Belcanto, um innere Regungen auszudrücken. Auch die berühmte Wahnsinnsszene ist bei ihr nicht primär Bravour-Arie, sondern steht mit ganzer Intensität im Dienste des Ausdrucks. Mosuc überzeugt auch darstellerisch, weil sie sich zurückhält. So bekommt die Aufführung ein starkes Zentrum, immerhin. Doch für die Rettung des italienischen Fachs aus der Mottenkiste reicht das noch nicht.