«Don Giovanni»

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (13.09.2008)

Don Giovanni, 07.09.2008, Luzern

Bestens geeignet für eine Oper mozartschen Ausmasses ist ein mittelgrosses Theater wie jenes in Luzern. Das Publikum ist den Sängern nahe, kann ihrem Spiel bis in mimische Nuancen genau folgen, die Feinheiten der Partitur lassen sich ruhig ausarbeiten, aber auch das Drängen in der Musik wird gleichsam körperlich spürbar. In der neuen Luzerner Neuinszenierung des «Don Giovanni» ist gerade dies das hervorstechende Merkmal: die Agilität, die Vitalität, der Schwung, das Vorwärtstreiben. Die Menschen stehen hier unter amourösem Hochdruck. Man nimmt es diesmal gern in Kauf, dass sich Regisseur Stephan Müller dafür «nichts Besonderes» ausgedacht hat, dass er dieses «dramma giocoso» auf eine fast herkömmliche Weise komödiantisch angeht. Fern ist die tiefe, abgründige Melancholie, mit der Claus Guth kürzlich in Salzburg das Werk darstellte.

Die Kostüme (Mechthild Feuerstein) situieren die Handlung in der Neuzeit. Giovanni und Leporello sind herumstreunende Taugenichtse, ihr Fest eher eine Party von heute. Auf der meist leeren Bühne (Werner Hutterli) wird einmal eine Telefonkabine hochgefahren, ein Örtchen der Kontaktsuche. Leporello liest denn auch seine Registerarie aus dem Telefonbuch vor. Im Übrigen steht die Aktion mit den handelnden Menschen im Zentrum.

Das funktioniert prächtig, man kann in Luzern einen sehr unterhaltsamen Abend verbringen, zumal die Sängerinnen und Sänger sichtlich Spass haben. John Axelrod setzt mit dem Luzerner Sinfonieorchester auf klangliche Forschheit. Lupenrein ist das nicht immer, aber es treibt an, zumal die Rezitative vom Hammerklavier (Peter Solomon, den wir vom Tonhalle-Orchester kennen) quirlig eingeleitet werden. Allerdings vernachlässigt Axelrod dabei die Feinheiten, die leisen Passagen, die Ruhe auch. Lange muss man auf intime Momente warten. Vor allem das Verfolgertrio Don Ottavio, Donna Anna und Donna Elvira (Tomasz Zagorski, Simone Stock, Madelaine Wibom) leidet darunter.

Ihren oft heiklen Verzierungen fehlt es an Geschmeidigkeit. Axelrod lässt ihnen keine Zeit, und vielleicht trägt der karge Bretterverschlag der Kulissen noch dazu bei, dass diese Stimmen zuweilen schrill klingen. Besser damit zurecht kommt die Zerlina von Sumi Kittelberger. Die drei tiefen Männerstimmen überzeugen am meisten: Boris Petronje in der Doppelrolle des Komtur und Masetto (was für die Aufführungen keine Konsequenzen hat), der lebhafte Marc-Olivier Oetterli als Leporello und vor allem Tobias Hächler in der Hauptrolle. Er ist ein ebenso eitler wie hinterhältiger Don Giovanni. So gehetzt das zuweilen wirkt: Es macht auch Effekt. Die Schlussszene mit dem Titelhelden und dem Komtur steigern Axelrod und sein Team zu einem eindrücklichen Höhepunkt, und auch wenn Giovannis Tod im Halbdunkel (keine Höllenfahrt) nicht ganz überzeugt, so wäre der Moment doch bestens geeignet, um damit aufzuhören. Das abmildernde Schlusssextett, das Mozart selber in einer der Wiener Fassungen strich, wirkt nach einem solchen Theatercoup nur noch angehängt.