Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (16.09.2008)
Italienische Opernkultur in Zürich: Dirigent Nello Santi und ein junges Regieteam haben am Sonntagabend Gaëtano Donizettis populäre Oper «Lucia di Lammermoor» auf die Bühne des Opernhauses gebracht.
Italienische Oper gefällt sich üblicherweise sehr in Lautstärke und im sängerischem Macho-Gehabe, im Kampf um den besten Platz an der Rampe und die längeren und kraftvolleren Spitzentöne. Bei der Zürcher Premiere von Gaëtano Donizettis (1797-1848) «Lucia di Lammermoor» war einiges davon in Reinkultur zu erleben.
Es hat etwas Elektrisierendes, wenn virile Tenöre und Baritone aus Leibeskräften ihre Liebe oder Rache in den Opernhimmel schreien. Massimo Cavaletti liess seinen Enrico immer wieder aufglühen in kraftvoll-heldischem Bariton-Timbre und der junge, erst 31-jährige Tenor Vittorio Grigolo zeigte bei seinem Rollendebüt als Edgardo athletische Qualitäten nicht nur in der Stimme, sondern auch in einem durchtrainierten Body und einer unverwüstlichen Kondition. Den Hang zum Überzeichnen der dynamischen und agogischen Linien verzieh man ihm gern angesichts seiner engagierten Sing- und Spielweise. Stilistisch kann er noch lernen, aber seine Stimme erlaubt ihm ziemlich alles, und er hat auch den Mut, diese Fähigkeiten dezidiert zur Gestaltung seiner Figur einzusetzen. Eine grosse Tenor-Hoffnung für die Zukunft.
Ungenügende Unterstützung
Weniger Hoffnung durfte man - zumindest an diesem Premierenabend - indes in Elena Mosuc setzen: Bei ihr klang jeder Ton genau gleich. Farbliche Differenzierungen gab es nicht, dynamische wirkten künstlich und einstudiert. Dabei hat sie die Rolle der Lucia schon sehr oft gesungen. Ihre Stimme wird zudem dominiert von einem starken Vibrato, und die Gestaltung ihrer Linien erhielt immer wieder unorganische Brüche. Kam hinzu, dass sie noch nie eine gute Schauspielerin war, und in dieser Inszenierung, die viel Führung verlangt hätte, von Regisseur Damiano Michieletto auch nur ungenügend unterstützt wurde. Alles in allem berührte diese Lucia nicht, sondern liess einfach kalt.
Laszlo Polgar als Raimondo und Boiko Zvetanov als Arturo machten ihre Sache gut und wurden, wie das ganze Ensemble, von Dirigent Nello Santi aufmerksam geführt. Vor 50 Jahren dirigierte der Maestro aus dem norditalienischen Padua in Zürich bereits schon einmal Donizettis «Lucia». Kein Zweifel, das Stück hat er im Griff, setzte ohne viel Aufwand die Akzente und ging diesmal vergleichsweise zurückhaltend um mit seinem Markenzeichen, dem gnadenlosen Anziehen der Tempi, das auf das Ende der Musiknummern hin einen mitreissenden Sog entfaltet. Choreinsätze wackelten noch manchmal, das Orchester aber war auf seinem Posten im Tutti wie in teils herausragenden solistischen Partien, am exponiertesten natürlich die Soloflöte in der Wahnsinns-Arie, die Maurice Heugen fast ein bisschen zu sehr auf Klangschönheit trimmte.
Zirkus-Gag als Markenzeichen
Das italienische Inszenierungs-Team Damiano Michieletto (Regie), Paolo Fantin (Bühne) und Carla Teti (Kostüme) arbeitete zum ersten Mal in Zürich. Einen zerstörten Stahl- und Glasturm stellte Fantin auf die Bühne, aber die Erinnerung an 9/11 wurden nicht weiter aufgewärmt. Die Kostüme verwiesen auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs, und die Regie lavierte zwischen eigenständigen Ideen und konventionellen Bühnentraditionen.
Immer wieder machte Michieletto durch kleine Gesten und Details wichtige Eigenschaften der Figuren sehr überzeugend deutlich, immer wieder aber liess er seine Protagonisten auch in die Operngestik der Vergangenheit fallen. Der Lucia, die auch darstellerisch am wenigsten überzeugte, stellte er eine Anima-Figur an die Seite, machte aber aus dieser guten Idee letztlich zu wenig. So wurde ein Zirkus-Gag zum Markenzeichen dieser Inszenierung: Ein Stuntman stürzt sich in Lucias Hochzeitsgewand vom Turm herunter in den Tod. Effektvoll, wenn auch nicht ganz kongruent mit der Geschichte.