Rodolfo unter Skihäschen

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (29.09.2008)

La Bohème, 26.09.2008, Basel

«La Bohème» am Theater Basel witzig auf der Höhe der Zeit

Ein junger Tenor mit grossem Potenzial, ein Dirigent mit Sinn für musikalische Dramaturgie und eine witzige Inszenierung, das zeichnet die «La Bohème» in Basel aus.

David Lomelì heisst der mexikanische Tenor, der als fast unbeschriebenes Blatt nach Europa kam und in Basel als Rodolfo die Herzen des Publikums eroberte. Es ist eine ungewöhnliche Inszenierung, die David Hermann vorlegt, und die Figur des Rodolfo nimmt darin eine Schlüsselszene ein. Gross, korpulent und ungelenk steht der junge Mann in einem blau gestreiften Pyjama mit Gletscherbrille auf der in Weiss getauchten, «eisigen» Bühne und weiss mit der in einem Sommerkleidchen auftretenden Mimi vorerst wenig anzufangen.

Doch dann beginnt Lomelì zu singen, mit strahlender Stimme, mit Leichtigkeit und Verve. «Che gelida mannina» tönt es mit anrührendem Schmelz, und Mimi antwortet mit lyrischem Impetus. Maya Boog, die eine verinnerlicht verlorene «Piano-Mimi» gibt, wird nicht von der Tuberkulose, sondern von der genusssüchtigen Welt verzehrt.

St. Gallen darf sich freuen

Zu solch ungewöhnlicher, musikalisch stimmiger Interpretation geleitet wird das unprätentiöse Paar und das gut mitgehende Sinfonieorchester Basel von Maurizio Barbacini, der beschwingt und auch mit süffig strömender Klangsinnlichkeit dirigiert. Barbacini wird demnächst in St. Gallen die «Traviata» dirigieren – man darf sich freuen!

Die Inszenierung von David Hermann entpuppt sich als Seiltanz zwischen Slapstick und bitterem Ernst, mit einfachen Versatzstücken changierend von Weiss zu schwarzer Nacht (Ausstattung Christof Hetzer). Nicht alles gelingt gleichermassen stimmig, dichte Momente wechseln mit Fragezeichen.

Am witzigsten ist das zweite Bild, wenn das «Café Momus» zu einer mondänen Skibar mutiert, die Besucher in gestylten Skianzügen auf Liegestühlen sonnenbaden und Musette dazu aufgedonnert mit Schosshündchen erscheint. Agata Wilewska mit quirligem Sopran als Musetta und Phillip Addis mit kernigem Bariton als Marcello gestalten auch schauspielerisch vorzüglich.

Doch noch aus den Fugen

Etwas weniger gelungen der zweite Teil. Sehr schwierig etwa, wenn Mimi gänzlich im Dunkeln ihr Liebesbekenntnis an Rodolfo singt und wenn im vierten Bild ein seltsam vergittertes Versatzstück mit Rosabett vom Himmel schwebt. Hier gerät wegen der – ausser Mimi – hinter der Bühne singenden Protagonisten die musikalische Balance aus den Fugen. Schade, denn insgesamt glückt es musikalisch und szenisch, aus einem etwas abgelatschten Operngassenhauer ein berührendes Stück Musiktheater zu formen.