Herzerfrischend aktualisiert

Silvia Rietz, Mittelland Zeitung (06.10.2008)

Die Fledermaus, 04.10.2008, Bern

Im Stadttheater Bern wurde bewiesen, dass Johann Strauss' «Die Fledermaus» mit schlüssigem Konzept auch heute noch zu begeistern vermag.

Stubenmädchen Adele nimmt in der modernen Küche vorweg, was die Berner Fledermaus-Inszenierung wie eine Klammer umschliesst: Dem Überdruss der Spassgesellschaft folgt, wie einer durchzechten Nacht, unweigerlich der Katzenjammer. Folgerichtig endet der Ausflug in die Operettenseligkeit, wo die Liebe kokettiert und der Champagner sprudelt, mit schwerem Kopf und im dunklen Gefängnis des Alltags. Morgendliche Ernüchterung auch für Casanovas, die einschläfernden Ehetrott mit einem Techtelmechtel aufpeppen wollen. Letztendlich bleibt jeder in seiner Welt gefangen. Einzig Kammerzofe Adeles Träume werden Wirklichkeit - in der sich, mit der Rache der «Fledermaus» alias Doktor Falke, Spiel, Fiktion und Realität überlappen. Zu Beginn stopft sich Adele mit Büchsensardinen voll. Gegen den Kater hilft es wenig. So richtig in Fahrt kommt sie erst, wenn sie im Abendkleid der Dame des Hauses auf dem Ball des Prinzen Orlofsky ihren Chef und andere Männer bezirzt. Derweil empfängt Hausherrin Rosalinde ihren ehemaligen Gesangslehrer Alfred. Als Guru für Körper und Seele beherrscht er die Lotusstellung, präsentiert den wohlgestalteten Body in Unterhosen und verführt Rosalinde auf dem Küchentisch. Unerwarteter Besuch könnte da zu peinlichen Schlussfolgerungen führen. Doch Gentleman Alfred schlüpft in die Rolle des Ehemannes, lässt sich an dessen Stelle zum Arrest abführen.

Derweil vergnügt sich Gabriel von Eisenstein in der Nacht vor dem Haftantritt mit jungen «Ballett-Ratten», flirtet mit seiner maskierten Ehefrau. Mit ihm amüsieren sich Gefängnisdirektor Falke und Gastgeber Prinz Orlofsky (Claude Eichenberger). Der Ball-Akt schwelgt in atmosphärischer Walzerromantik und üppigem Ausstattungskino, lässt für einen Augenblick die goldene Operetten-Ära aufblitzen. Bis sich am Morgen danach die ganze Festgesellschaft wieder trifft: nicht im Licht des anbrechenden Tages, sondern im düsteren Reich von Gefängniswärter Frosch. Dort entsteigen die Protagonisten einer überdimensionierten Sardinenbüchse, gewandet in dunkle Schlabberkleider. Die (gut disponierten) Chorsänger stecken in schwarzen Tüchern, erinnern mit ihren Umhängen mehr an eine Nabucco-Inszenierung als an ein Operettenfinale.

Es gehört Mut und Fingerspitzengefühl dazu, den Frosch (und den letzten Fledermaus-Akt) aller Wiener Sentimentalitäten zu entstauben und den traditionell beschwipsten Spassmacher durch einen politisch engagierten Zeitgenossen zu ersetzen. Der nüchterne und im Heute verhaftete Frosch (Hans-Peter Ulli), schlägt mit Anspielungen auf aktuelle Stadtpolitiker und die Schweizer Hochfinanz die Brücke von Operetten-Nostalgie zum gegenwärtigen Bühnengeschehen.

Die Fledermaus ist ja die einzige Operette, die sich von ihren Wurzeln gelöst und zu einem anerkannten Pfeiler des Opernrepertoires etabliert hat. Vor diesem Hintergrund spürt man, wie ernst das Berner Fledermaus-Team (Regisseur Bernd Mottl, Bühnenausstatter Friedrich Eggert, und Nicole von Graevenitz, Kostüme) das Genre Operette nimmt, nicht krampfartig aktualisiert, sondern mit Witz, Anspruch und Sozialkritik süffig und modern inszeniert. Fliesst auf der Bühne der «Feuerstrom der Reben», perlt aus dem Orchestergraben Champagner. Srboljub Dinic animierte das Berner Symphonie-Orchester zu einer schwungvollen Aufführung mit Brio, Charme, Witz - und Klasse. Genau wie das für Bern superbe Solistenensemble, aus dem Arpiné Rahdjian als stilsichere Rosalinde herausragt. Die in Wien geborene Mirella-Freni-Schülerin gestaltet grosse Linien ebenso überzeugend, wie die Parlando-Passagen. Ihr Sopran gebietet über verschiedenste Klangfarben, vom silbernen Strahl bis zum abgedunkelten Timbre.

Publikumsliebling Anne-Florence Marbot gelingt mit leichtem Sopran, passablen Koloraturen und grosser Spielfreude ein Kabinettstück als Adele. Andries Cloete als Alfred, Paul Armin Edelmann als Falke, Richard Ackermann als Frank und der fabelhafte Robin Adams als Eisenstein begeisterten sowohl als Sänger wie als Schauspieler. Die Berner Fledermaus moussiert wie Champagner und macht der «leichten Muse» alle Ehre.