Wo selbst die Kulisse mitschunkelt

N. N., Der Bund (06.10.2008)

Die Fledermaus, 04.10.2008, Bern

Begeisternde «Fledermaus»-Premiere am Stadttheater Bern

Die «Fledermaus» von Walzerkönig Johann Strauss verspricht einmal mehr altbekannte und beliebte Musik, die Premiere überzeugt neben guten Sängerinnen und Sängern aber auch mit einigen treffenden Regieeinfällen.

Der Champagner ist an allem schuld – so will es das erzwungene Finale, das Johann Strauss seiner Operette aufgesetzt hat. Allerdings mag dieses schwungvolle Ende nicht so recht zum Kater nach einer für fast alle Beteiligten ernüchternden Nacht passen.

Doch beginnen wir von vorne. Gabriel von Eisenstein muss eine Arreststrafe antreten, wird aber zuvor von seinem Freund Dr. Falke zu einem Ball eingeladen. Das Fest ist in Wahrheit ein geschickt eingefädelter Racheplan von Falke; so tauchen neben dem Schwerenöter Eisenstein auch dessen Frau, sein Stubenmädchen und der Gefängnisdirektor auf. Eisenstein tritt wie geplant in alle Fettnäpfchen, trinkt Brüderschaft mit dem Gefängnisdirektor, blamiert sich, als er sein Stubenmädchen erkennt, und betrügt nicht zuletzt seine Frau mit einer Unbekannten, die niemand anderes als seine Frau selbst ist.

Robin Adams erweist sich stimmlich wie darstellerisch als Idealbesetzung für den prahlerischen und selbstverliebten Eisenstein. Vom grossspurigen Verführer über den rasenden Rächer bis zum tragischen Verlierer gewinnt er seinem Bariton zahlreiche Facetten ab, die in jedem Moment überzeugen.

Beleidigte Fledermaus

Eine ebenbürtige Partnerin findet er in Arpiné Rahdjian als seiner Frau Rosalinde. Mit edlem und voll klingendem Sopran dominiert sie den vokalen Part der Operette und begeistert das Publikum. Diesen beiden musikalischen Schwergewichten gegenüber wirkt Andries Cloete als Alfred im dritten Akt stimmlich etwas flach. Zu Beginn setzt er sich aber mit viel Ironie und Wohlklang als liebestoller Tenor in Szene. Als Stubenmädchen Adele gelingt Anne-Florence Marbot das Kunststück, sehr überzeugend eine schlechte Schauspielerin zu mimen. Schade ist, dass die Rolle sich bisweilen allzu stark auf die Stimme auswirkt, die dadurch etwas an Strahlkraft verliert.

Paul Armin Edelmann gibt den Drahtzieher Dr. Falke mit klaren Linien und warmem Bariton. Mit seinem Racheplan unterhält diese beleidigte Fledermaus den gelangweilten goldenen Gastgeber Prinz Orlowsky, in dessen Rolle die Mezzosopranistin Claude Eichenberger glänzt. Richard Ackermann (Gefängnisdirektor Frank), Rolf Schneider (Dr. Blind) und Ninoslava Jaksic (Ida) vervollständigen das gut disponierte und spielfreudige Ensemble, das von einem soliden Chor (Einstudierung Lech-Rudolf Gorywoda) und dem sensibel begleitenden Berner Symphonieorchester unter Srboljb Dinic unterstützt wird. Gelegentlich hätte man sich musikalisch zwar vielleicht noch etwas mehr Wiener Schmäh gewünscht, doch immerhin schunkeln zu Paul Armin Edelmanns «Brüderlein und Schwesterlein» gar die Kulissen mit.

Katerfrühstück

Die Regie von Bernd Mottl und die Kostüme von Nicole von Graevenitz liefern eine spannende Mischung aus traditionellem Operettenfundus und Modernismen. Diese Kombination wirkt im Verbund mit einigen dramaturgischen Ungereimtheiten zwar nicht in jedem Moment konsequent, ergibt aber irgendwie doch ein – (selbst)ironisch gebrochenes – Ganzes. Etwas affektiert wirken mit der Zeit die zunächst amüsanten Revueanlehnungen der Choreografie von Götz Hellriegel, dagegen geriet das einfallsreiche Bühnenbild von Friedrich Eggert sehr wirkungsvoll.

Während der erste Akt noch gutbürgerlich in der retro-gestylten Design-Küche spielt, muss Eisenstein im zweiten feststellen, dass Orlowskys Festsaal nur aus Kulissen besteht. Schauplatz des letzten Aktes ist schliesslich eine riesige Heringsdose, aus der nach und nach alle Protagonisten hervorkriechen.

Frosch oder Fisch?

Aus «Protest» gegen diesen Regieeinfall beschliesst Hans-Peter Ulli als – nach mehr als 500 Vorstellungen – höchst erfahrener Frosch, sich neu Fisch zu nennen. Anfangs muss der «Einspringer» («nachdem ich dieses Bühnenbild gesehen habe, verstehe ich jetzt auch, weshalb der vorherige Darsteller krank wurde») vom Inspizienten nochmals auf die Bühne bugsiert werden. Dann verbündet er sich mit dem Publikum und entscheidet sich schliesslich, zu retten, was noch zu retten ist. Effektvoll gerät so der Abschluss dieses Champagneralbtraums, der aus dem Ruder zu laufen droht. Frosch-Fisch, der mit modernen Inszenierungen noch nie viel anfangen konnte, setzt sich resolut durch und garantiert dem Publikum dank verteilten Klavierauszügen einen musikalisch würdigen Abschluss. Gleichzeitig wird durch diese Situation des Theaters auf dem Theater aber auch der irreale und unbefriedigende Charakter dieses Endes deutlich. Der Champagner mag an allem schuld sein – doch macht das die Sache wirklich besser?