Einige Kratzer an der Feststimmung

Svend Peternell, Berner Zeitung (06.10.2008)

Die Fledermaus, 04.10.2008, Bern

Der Rausch in der Strauss- Operette «Die Fledermaus» hat seinen Preis. Regisseur Bernd Mottl investiert am Stadttheater Bern viel szenischen Aufwand in die Ausnüchterung – und dämpft die Premierenfreude leicht.

Johann Strauss wusste, wie man Feste feiert. Vor allem wusste er, wie man Walzer- und Csardasmelodien komponiert, die ein Fest so richtig in Gang bringen. Da es nach dem Börsencrash 1873 eigentlich nichts zu feiern gab, musste der Rausch her – als Beitrag zum Verdrängen und Vergessen. «Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist»: So lautet das Motto der Meisteroperette von 1874. «Die Fledermaus» schildert die Vorfreuden (im 1.Akt) auf den Maskenball beim Prinzen Orlovsky (2.Akt) – und dann die grosse Katerstimmung danach (3.Akt).

Zwei Drittel gute Laune

Im Idealfall hält man das Publikum über alle drei Akte bei Laune, weil auch die Ausnüchterung nach typisch wienerischer Art mit schleppendem Tempo und fatalistischem Humor durchaus witzig sein kann. Die Neuinszenierung von Bernd Mottl am Stadttheater Bern schafft es immerhin auf zwei Drittel gute Laune. Der Grund dafür: Sie hat den Katzenjammer im letzten Bild zum szenischen Prinzip erhoben – und das kratzt erheblich an der Feststimmung, in der Inszenierung und beim Publikum. Der Abgrund, in den da geleuchtet wird, ist nur noch ein tristes schwarzes Loch mit einer überdimensionierten Sardinendose. Aus dieser steigt nach und nach die heruntergekommene Gesellschaft. Sie schiebt die Schuld an der Misere dem Champagner zu, weil es halt das Textbuch, das sie in den Händen hält, so will. Ausnüchtern heisst nach betäubendem Maskenspiel und Rollenwechsel auch, die Frage nach der wahren Identität zu stellen.

Hans-Peter Ulli als Gerichtsdiener Frosch, der lieber Fisch genannt sein will, weitet sie auf das (ernüchternde) Kunst- und Kulturverständnis der Realpolitik aus und erteilt ein paar Seitenhiebe an lokal-regionale Grössen: kein Geld mehr, um den dritten Akt auszustaffieren! Dass Anne-Florence Marbot als Stubenmädchen Adele energisch-kämpferisch in eigener Sache für ihre Theaterambitionen einsteht, macht Sinn. Sie tut dies mit stimmlicher Verve und szenischer Präsenz, wodurch die Trostlosigkeit der Ausnüchterung erträglich bleibt.

Gar nicht wienerisch

Die Inszenierung von Bernd Mottl ist trotz der Ansätze von Frosch, wienerisch zu radebrechen, überhaupt nicht darum bemüht, österreichisch zu sein. Sie weigert sich, die verlogene Doppelmoral im Wechselspiel von gemütvoll und grantig rüberzubringen. Im Gegenteil: Sie macht im ersten Bild voll auf Tempo. Im aufgepeppt modernen Interieur des Hauses Eisenstein, das Bühnenbildner Friedrich Eggert im Guckkastenprinzip aufgebaut hat, geht die reinste Farce ab. Frech werden hier die Vorfreuden auf einen Seitensprung inszeniert.

Wände geraten ins Wanken

Im zweiten Bild wird der szenische Aktionismus zurückgefahren. Beim Maskenball herrscht unverhüllte Kulisse vor, in die sich der Bühnenvorhang als Theaterversatzstück wie ein roter Faden zieht. Wände geraten beim Champagnerlied des flott ausstaffierten Chors mit Kostümen von Nicole von Graevenitz ins Wackeln. Claude Eichenberger bringt als äusserlich glitzernder und innerlich abgelöschter Prinz Orlovsky wenigstens stimmlich bewegende Lebenszeichen rüber. Robin Adams stolpert als Gabriel Eisenstein hyperig-aufdringlich durch den Saal und beisst der stark auftrumpfenden Anne-Florence Marbot in den Arm. Arpiné Rahdjian als Gabriels am Ball eingeschleuste Frau Rosalinde ringt in der Rolle der ungarischen Gräfin um Fassung – nicht aber um ihren betörenden Sopran. Dabei kommt sie gerade von Latin Lover Alfred (Andries Clote), der sich nicht nur mit Tantramethoden auskennt.

Für Rasse und Klasse sorgen das Berner Symphonieorchester und Dirigent Srboljub Dinic, der mit der Koordination des teils sehr dynamischen Bühnengeschehens stark beschäftigt ist, die Sache aber im Griff hat. Die moussierende Walzerseligkeit perlt flott, die Qualität überzeugt. Das Fest bleibt zumindest musikalisch ungetrübt.