Beethovens Zehnte

Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (05.10.2008)

Fidelio, 05.10.2008, Zürich

Premiere Fidelio
Das Opernhaus Zürich zeigt einen altmodisch inszenierten «Fidelio» – aufregend sind die Ouvertures bei geschlossenem Vorhang.

Wenn bei einem «Fidelio» die spannendsten Momente bei geschlossenem Vorhang stattfinden und der Kerkermeister Rocco den grössten Applaus bekommt (Alfred Muff verdient ihn), läuft etwas falsch.

Für einmal hatte das Opernhaus bei der Besetzung kein gutes Händchen. Die kleinen Rollen sind solide besetzt, aber bei den Hauptdarstellern klaffen anderthalb vokale Lücken. Die halbe geht auf Roberto Saccàs Florestan: Diese Rolle ist ihm eine Nummer zu heldisch. In seiner grossen Arie verhärtet die Stimme nach schönem Beginn im ekstatischen Schlussteil und wird eng und matt, im Finale ist er kaum zu hören.

Noch ärger trifft es Leonore: Melanie Diener tut sich und dem Publikum mit diesem Rollendébut keinen Dienst. Da sitzen Töne nicht oder nur ungefähr richtig, und die Technik erfordert offenbar so viel Konzentration, dass die Gestaltung wie in der zentralen Arie auf der Strecke bleibt. Da hilft auch die Entblössung der Brust als Beweis ihres Frauseins nichts.

Ein Stück für den Dirigenten

Die Missgriffe in der Besetzung sind umso bedauerlicher, als Dirigent Bernard Haitink auf seine Sänger Rücksicht nimmt. Aufgedreht wird nur bei Pizzarro: Lucio Gallo radebrecht in den Dialogen, sängerisch verfügt er aber über Power und nötige Gefährlichkeit. Überhaupt ist Bernard Haitink, der langjährige Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouw und der Londoner Oper Covent Garden, die tragende Kraft dieser Neuinszenierung. Er geht den «Fidelio» an, als wäre es Beethovens 10. Sinfonie. Die Musik ist bei ihm immer auch Akteurin. Nebenstimmen werden aufgewertet, Bläserlinien sind herausmodelliert und treten in (noch nicht perfekt koordinierten) Dialog mit den Streichern und Sängern. Diese geraten durch langsame Tempi bisweilen etwas in Nöte.

Im Vergleich mit Zürichs letzten beiden «Fidelio»-Dirigenten Harnoncourt und Minkowski ist Haitinks Beethoven weniger revolutionär-stürmisch, dafür klassischer und brillanter im Klang. Welche Berechtigung dieses Verständnis hat, zeigt sich im Opernhaus in der zwischen Liebesduett und Finale gefügten dritten Leonoren-Ouverture. Mit welcher Spannung Haitink hier zwischen dramatischem Wendepunkt und Jubelschluss die Handlung als Programmmusik nochmals aufrollt und einen Reflexionsraum auftut, ist eindrücklich.

Statische Bilder

Öffnet sich der schwarze Vorhang wieder, fällt umso mehr auf, wie altmodisch die Inszenierung vorgeht. Katharina Thalbach beschränkt sich in Ezio Toffoluttis naturalistischem Bühnenbild darauf, die Geschichte nachzuerzählen, und überlässt die Reflexion der Musik. Das klappt im singspielhaften Anfang noch ziemlich gut, die Figuren sind detailliert und stimmig gezeichnet. Im statischeren zweiten Teil läuft fast gar nichts mehr, die Chöre werden unbeholfen über die Bühne geschoben. Pizarro wird am Schluss erschossen – wie in der alten Flimm-Inszenierung, die noch Ende Juni im Repertoire war. Nur von deren kritischem Impetus ist jetzt nichts mehr zu erkennen.