Leonores Akt

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (07.10.2008)

Fidelio, 05.10.2008, Zürich

Beethovens «Fidelio» an Zürichs Oper

Katharina Thalbach inszenierte Beethovens «Fidelio». Doch der Dirigent lief ihr den Rang ab.

Prima la musica – oder prima la regia? Diese Grund- und Gretchenfrage der Opernbeurteilung ist diesmal am Zürcher Opernhaus keine. Denn der 79-jährige Dirigent Bernard Haitink sorgt mit dem glänzend aufgelegten Opernhausorchester für eine so frische musikalische Atmosphäre, dass die Inszenierung daneben leicht verstaubt anmutet. Auch die Sänger – wie immer am Zürcher Opernhaus von einigem Marktwert – scheinen von Haitinks gestalterischem Furor überfordert.

Asynchron. So wird schon die erste Szene nach der mit ruhigem Puls angepackten Ouvertüre sängerisch verschleppt, und in der «Goldarie» des Kerkermeisters Rocco setzt sich der Virus des merklichen Hinterherhinkens auf der Bühne fort. Da wundert es nicht mehr, dass auch der Gefangenenchor nicht ganz synchron über die Bühne geht. Entweder hat Maestro Haitink in der Premiere raschere Tempi angeschlagen als in den Proben, oder er hat es nicht verstanden, Bühne und Orchestergraben miteinander in Kontakt zu bringen. Jedenfalls hinterlässt die Zürcher Produktion einen eher sinfonischen als musiktheatralen Eindruck, was bei einer so dramatischen Oper wie «Fidelio» kein Kompliment ist.

Melanie Diener ist eine intensive, aber intonatorisch nicht untadelige Leonore, die häufig zu tief singt. Ihr Florestan ist bei Roberto Saccà in guten Händen, während Alfred Muffs Rocco unter der humorlos-biederen Zeichnung leidet, welche die Regie dieser Figur aufzwingt. Sandra Trattnigg ist eine auch gesanglich anmutige Marzelline, Christoph Strehl ein mit hellem Tenor aufwartender Jaquino. Als Gangsterboss im Sommeranzug gezeichnet ist der Gouverneur Don Pizarro, Erzfeind des Gefangenen Florestan. Ihm leiht der Bariton Lucio Gallo scharfes sängerisches Profil, ohne dass seine Rollendarstellung über das konventionelle Bild führte.

Klischeehaft. Am Hang zum Klischeehaften krankt die ganze Inszenierung von Katharina Thalbach im Bühnenbild von Ezio Toffolutti. Der Bunker mit Gitterstäben und Wachpersonal, die wie Soldaten einer Bananenrepublik wirkenden Aufseher, das fast schon wieder gemütlich wirkende Kellerverlies für den politischen Gefangenen Florestan – Bilder, die ihre Wirkung schon oft getan haben und verbraucht wirken. Eine einzige Szene erregt Aufmerksamkeit: Wenn die als Fidelio verkleidete Leonore im tiefsten Kerker ihrem Mann das Leben rettet, indem sie sich mit entblösster Brust zwischen Don Pizarro und Florestan stellt, kommt für einen Augenblick Spannung auf. Dann verebbt sie wieder in den Konventionen eines nur allzu realistischen Musiktheaterstils.