Drama vor geschlossnem Vorhang

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (07.10.2008)

Fidelio, 05.10.2008, Zürich

Opernhaus Zürich: Ludwig van Beethovens «Fidelio» wird von Bernard Haitink spannend dirigiert und von Katharina Thalbach harmlos inszeniert.
«Schreiben Sie diesmal etwas Gutes, Herr Berzins!» Halb wars Scherz, was da die Platzanweiserin zu Beginn der Vorstellung sagte, halb Ermahnung. Nun, zum Schluss von Beethovens «Fidelio» war es erstmal die Vox Populi, das Zürcher Publikum, das eher missmutig reagierte: Buhs für die Regisseurin, verhaltene Zustimmung für die Sänger und - Gott sei Dank - Jubel für den berühmten Dirigenten.

Der Name der Regisseurin ist so gross, dass er zu Zürich passt: Katharina Thalbach, Tochter des Regisseurs Benno Besson. Bessons Misstrauen der Oper gegenüber hat die Tochter nicht geerbt. Sie hat ein fast naives Interesse daran, will die Opern so zeigen, wie sie sind. «Fidelio» mit seinen Utopien von wegen Gattenliebe und Freiheitsglück, mit dem Glauben an die Worte «Mut», «Kraft» und «Pflicht».

So nimmt denn ein «Fidelio» seinen Lauf, der oberflächlich betrachtet etwa so ausschaut wie jener klassische von Claus-Helmuth Drese von 1975. Bis spät in die 80er-Jahre war diese Inszenierung in Zürich zu sehen. Thalbachs Lesart geht aber weniger in die Tiefe. Und wer so konventionell inszeniert, sollte es handwerklich geschickter tun. Man mag kaum hinschauen, wenn sich die Protagonisten in der Kerkerszene auf die Füsse treten.

Zum Schluss besinnt sich die Regisseurin darauf, dass man auf einer Theaterbühne auch Dinge zeigen darf, die nicht im Textbuch stehen. Kaum hat der Minister die Gefangenen befreit, machen sie mit dem «bösen» Gouverneur kurzen Prozess. Und gleich noch einmal wird der Liebes- und Freiheitsjubel bedrückend hinterfragt: Ein Befreiter stirbt in den Armen seiner Frau. Das sind Bilder, die zu bleibenden Gedanken werden.
Musikalisch ist der Abend gelungener. Eine Leonore kann aber noch so schön und strahlend singen wie Melanie Diener › ja, das Wort «Freiheit» scheint für diese Stimme komponiert. Aber wenn dann in der so heik-len Arie zwei, drei exponierte Töne fehlgehen, wenn die dramatische Seite nur angetönt werden kann, wird es schwierig. Roberto Saccà (Florestan) ist mittlerweile ein fast heldischer Tenor, der bestens artikuliert und dessen Stimme einen lyrischen Glanz erhalten hat. Alfred Muff (Rocco), Sandra Trattnigg (Marzelline), Christoph Strehl (Jaquino) halten das Ensemble-Niveau hoch. Lucio Gallo (Pizarro) ist ein klischierter Bösewicht, aber er ist immerhin einer.

Bernard Haitinks Beethovenbild ist in den letzten Jahren von der historisch informierten Aufführungspraxis beeinflusst worden. Dennoch kann er als Dirigent des ausgezeichneten Opernhausorchesters vielen seiner alten Prinzipien treu bleiben. Es ist nicht die Aggressivität seines Zürcher «Fidelio»-Vorgängers Nikolaus Harnoncourt, die den Abend prägt. Haitink hat Zeit: Er kann altersweise auf Effekte warten, will nicht dauernd Überartikuliertes aussprechen, sorgt auch mal nur für den geradlinigen, hellen Klangfluss.

Das Drama im Drama - die vor dem Schlussbild und geschlossnem Vorhang gespielte dritte «Leonoren»-Ouvertüre - wird zum Höhepunkt. Grandios, wie die Steigerungen hier musikalisch inszeniert sind; unheimlich, welche Energien plötzlich auf den Zuschauerraum wirken.