Die menschliche Bigotterie in symbolstarken Szenen erfasst

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (11.11.2008)

The Greek Passion, 09.11.2008, Zürich

Eine faszinierende Oper kehrt an den Ort ihrer Uraufführung zurück: Im Opernhaus Zürich hatte am Sonntag Bohuslav Martinus «The Greek Passion» in der Fassung von Regisseur Nicolas Brieger Premiere.

Ein griechisches Dorf, wohlhabend, mit intakten Strukturen. Alle sieben Jahre wird ein Passionsspiel aufgeführt. An Ostern davor weisen die Dorfältesten den Bewohnern ihre Figuren zu. Angeraten wird ihnen, sich in Tat und Gedanke auf ihre Rolle vorzubereiten. Kurz darauf kommt eine Schar Flüchtlinge an. Nicht mal Ausländer, sondern von den Türken verjagte Griechen. Sie wollen Brot und Land, aber die Dorfgemeinschaft sträubt sich gegen die Fremden. Bis auf Manolios, den Jesus, und seine Jünger, die ihre Passionsspiel-Rollen zunehmend ernst nehmen. Der Konflikt gipfelt in Manolios' Ermordung und endet hoffnungslos mit dem Abzug der Flüchtlinge.

Das Schicksal der Juden vor Augen

Martinu hatte das Schicksal der Juden vor Augen, die auch an der Schweizer Grenze abgewiesen wurden, als er seine Oper schrieb. Dennoch war es das Zürcher Theater, das 1961 die letzte Oper von Bohuslav Martinu nach dem Roman «Christ recrucified» von Nikos Kazantzakis zur Uraufführung brachte. Jedoch in einer revidierten Version, nachdem die eigentlich in London geplante Uraufführung vier Jahre zuvor aus musikalischen Gründen ins Wasser gefallen war. Martinu lebte damals als Gast von Paul Sacher auf dem Schönenberg ob Pratteln. Mit Sacher als Dirigenten liess sich die Zürcher Uraufführung in einer stark überarbeiteten Form ermöglichen.

Sich der Aktualisierung verweigert

Nicolas Brieger, der Regisseur der aktuellen Produktion im Opernhaus Zürich, vereinte am Sonntag Elemente der beiden Fassungen für seine englisch gesungene Inszenierung. Und verweigerte sich der Aktualisierung: Er flüchtete in abstrakte Bilder, bemühte die Hagio- und Ikonografie der Passionsgeschichte - Judaskuss, das Opferlamm, Kreuztragung und die Pietà in blutbefleckten Laken.

Meistens herrscht Statik auf der Drehbühne von Hans-Dieter Schaal. Dies aufgrund der schiefen Kirche, die nur mühsam mit Stützen vor dem Einsturz bewahrt werden kann. Brieger unterstreicht damit das Oratorienhafte in Martinus Partitur, und das nicht zu Unrecht: Die Musik ist auch allein stark genug, sie braucht keine szenische Verdoppelung.
Dem deutlich verstärkten Opernchor half das allerdings nicht: Diese grandiose Choroper litt vor allem im ersten Teil unter einer geradezu blamablen Chorleistung: Kaum ein Einsatz präzis, klangliche Homogenität ein Fremdwort, ängstliches Buchstabieren statt kraftvolle Chorblöcke, die wie gemeisselt dastehen sollten. Offensichtlich hat man die Schwierigkeiten dieser Partitur massiv unterschätzt. Auch im Orchester war längst nicht alles im Lot, und der ganze Abend war geprägt von viel ungefährer Unentschlossenheit. Martinus Tonsprache ist in diesem Stück ganz eigen: klar, blockhaft, manchmal gewollt laut und gewalttätig, dann wieder äusserst zart und süss. Bis weit in den zweiten Teil hinein fand der Dirigent keine Wege, diese Kontraste wirklich intensiv werden zu lassen.

Ehrenrettung durch die Solisten

Musikalisch retteten vor allem die Solisten den Abend: Emily Magee als die Dorfhure Katerina, die zur Maria Magdalena erkoren wird, zeigte mit vielseitigen stimmlichen und darstellerischen Mitteln die Wandlung der Figur eindrücklich. Sie hatte auch Reserven, wenn es darum ging, über das starke Orchester noch hinauszuschwingen. Genau darin wurden die Limiten von Roberto Saccà als Manolios deutlich: In einer flammenden Rede an die Dorfversammlung fehlte ihm das dramatische Gewicht in der Stimme. Ansonsten sang und spielte er mit Eindringlichkeit und Ausdruckskraft. Glanzlichter im sehr guten Ensemble setzten Pavel Daniluk als Priester Fotis und Stefanie Braun als Maniolos Verlobte Lenio.