Das ewige Kreuz mit der Nächstenliebe

Herbert Büttiker, Der Landbote (11.11.2008)

The Greek Passion, 09.11.2008, Zürich

Zu den Leitthemen des Opernhauses gehört die Wiederbeschäftigung mit Werken, die hier uraufgeführt wurden. Jetzt erweist es auf eindrückliche Art Martinus «Greek Passion» Reverenz.

Die Zürcher Oper verzeichnete 1961 mit der Uraufführung von Bohuslav Martinus «Griechischer Passion» einen sensationellen Erfolg. Die Geschichte eines griechischen Dorfes, das im Passionsspiel Christlichkeit zwar spielen möchte, vor der Realität ankommender Flüchtlinge aber versagt, rührte an dunkle Stellen auch helvetischer Vergangenheit, und mit Martinus Musik geschah das eindringlich geschärft in der Spannweite von kirchen- und volksmusikalischen Anklängen zu dissonierender Dramatik.Zürich war damals zweite Wahl. Nachdem Covent Garden die Uraufführung abgelehnt hatte, schrieb Martinu das Werk für Zürich stark um. Die Londoner Urfassung war zerpflückt oder verloren, und ihre Rekonstruktion kam erst 1999 an den Bregenzer Festspielen zur Uraufführung.

Die neue Zürcher Inszenierung geht zwar zur Hauptsache von der kompakteren alten Zürcher Fassung aus, fügt aber zugunsten der erzählerischen Klarheit Elemente der Urfassung wieder ein. Vor allem aber greift sie auf das originale Libretto zurück, das Martinu selber in enger Absprache mit dem Autor der Romanvorlage («Christ recrucified» von Nikos Kazantzakis) in Englisch geschrieben hatte. Über diese Entscheidung mag man streiten, aber das Resultat spricht für sich: eine fesselnde Produktion, szenisch dicht, geprägt von hervorragenden Leistungen des ganzen Ensembles.

Eine hohe Bühnenskulptur wie ein aufgeschlagenes Buch, das von Balken gestützt wird, beherrscht die schwarze Bühne. Bibel und Kreuz sind da angedeutet; Hans-Dieter Schaal hat für das Stück ein expressiv sprechendes Symbol gefunden, das auch als Schauplatz plausibel wirkt. Priestergewand und Alltagskleidung verstärken den Bezug zum historischen Hintergrund des Geschehens: Lycovrissi, ein griechisches Dorf im von der Türkei beanspruchten Anatolien um 1922. Ein Nachbardorf wird Opfer der «ethnischen Säuberungen» und die Vertriebenen suchen Unterschlupf bei ihren «Brüdern».

Eben hat der Priester Grigoris mit markigem Bass (Alfred Muff) die Rollen für das Passionsspiel verteilt und die Auserwählten ermahnt, sich auch im Alltag für ihre Aufgabe zu bewähren. Das nehmen einfache Männer wie der brave Café-Besitzer Kostandis (Ruben Drole) ganz ernst. Der Postbote Yannakos (Rudolf Schaschnig) lässt sich vom schmierigen Dorfältesten Ladas (Gottfried Breitfuss) nur ansatzweise zu betrügerischen Geschäften mit den Ankömmlingen verführen.

Manolios, der Hirte, der Jesus spielen soll, erfährt gar eine tiefe Verwandlung. Er entfremdet sich von seiner Verlobten Lenio, gerät in eine peinigende Beziehung zur Dorfhure Katerina, die als Darstellerin der Maria Magdalena vorgesehen ist, und radikalisiert sich im Engagement für die Flüchtlinge. Roberto Saccà zeichnet diese Wandlung des Hirten zum revolutionären Agitator eindrücklich nach, intensiv in den lyrischen Momenten und – eher mit Grenzen – rhetorischer Strahlkraft. Äusserst prägnant charakterisieren Stefanie Braun mit hellem Sopran und Emily Magee mit dramatischer Fülle die ihn umgebenden Frauen. Lenio tröstet sich bald mit Nikolio (Michael Müller, der auf der Bühne auch sehr schön Trompete spielt); Katerina wird, auch dank Emilys überlegener Gestaltungskraft, zur vielschichtigsten Figur des personenreichen Stücks.

Darunter etwa mit einem dunklen und warmen Bass Pavel Daniluk als Führer der Flüchtlinge und menschliche Gegenfigur zu Grigoris. Scharfes Profil verleiht Volker Vogel dem Schmid Panait, der sich heftig dagegen sträubt, die Rolle des Judas zu übernehmen, am Ende aber bei Manolios’ Ermordung in der vordersten Reihe steht. In diesem Mord gipfelt das Drama vom «wiedergekreuzigten Christus». Nicolas Brieger inszeniert gerade diese Szene ungemein packend, stark im Zusammenwirken von Protagonisten und Chor, tumultuös, aber klar fokussiert. Hervorragend auch wie er die Bühnenlandschaft nutzt und wie er das realistische Spiel – die Balken laden dazu ein – mit dem Rekurs auf religiö-se Bildtraditionen expressiv auflädt.

Stark ins Bild gesetzt ist der Chor, der auch musikalisch seine Aufgabe imponierend bewältigt. Durch Martinus komplexe Rhythmik führt ihn die starke Hand eines jungen Dirigenten, des Norwegers Eivind Gullberg Jensen. Ihm gelingt es überhaupt, die Kräfte zügig und differenziert zu bündeln. Alles fügt sich so im Puls des Dramas: die bildstarke Inszenierung, ein intensives Ensemble und ein erlesen farbig spielendes Orchester.