Christus kam nicht bis Lycovrissi

N.N., Mittelland-Zeitung (11.11.2008)

The Greek Passion, 09.11.2008, Zürich

Nicola Brieger inszeniert Bohuslav Martinus Meisterwerk «The Greek Passion». Der szenisch konventionelle Abend überzeugt musikalisch.

2009 jährt sich Bohuslav Martinus Tod in Liestal zum fünfzigsten Mal. Aus diesem Grund gestalten einige Schweizer Theater gemeinsam einen überregionalen Zyklus mit Bühnenwerken des mährischen Komponisten, der mit der Schweiz eng verbunden war. Den Anfang machte am Sonntag das Opernhaus Zürich mit Martinus letzter Oper «The Greek Passion», die im Juni 1961 im gleichen Haus - damals noch das Stadttheater - uraufgeführt worden ist.

Das Werk nach einem Roman des Griechen Nikos Kazantzakis gehört zu den wenigen religiösen Opern des letzten Jahrhunderts. Der Hirt Manolios wird ausgewählt, beim Passionsspiel der Kleinstadt Lycovrissi den Part des Christus zu übernehmen. Er identifiziert sich jedoch zunehmend mit seiner Rolle und beginnt die christlichen Gebote in seinem Leben ernst zu nehmen. Vor allem setzt er sich für eine Gruppe von Flüchtlingen ein, die um Aufnahme bitten, von der Gemeinde aber zurückgewiesen werden. Schliesslich erkennt er, dass den Armen nur die Gewalt bleibt, und wird zum Sozialrevolutionär. Damit ist er für die Oberschicht nicht mehr tragbar. Er wird vom hartherzigen Priester Fotis, dem Vertreter der Amtskirche, exkommuniziert und vom Schmied - dem Judas-Darsteller! - vor aller Augen ermordet. Martinu hat diese Geschichte in grandiose Musik umgesetzt, die unmittelbar packt. Sie verbindet weit greifende Melodik mit folkloristischen Tönen, stimmungsvolle Naturschilderungen mit liturgischer Musik.

Ursprünglich hätte die Oper durch Rafael Kubelik in London uraufgeführt werden sollen, doch diese Absicht zerschlug sich. So kam Zürich zum Zug, wo die Verantwortlichen jedoch eine Reihe von Änderungen verlangten. Martinu arbeitete das Werk um, vor allem verknappte er den Beginn und den Schluss, was die «Zürcher Fassung» prägnanter und schlagkräftiger macht.

Diese Version bildet nun auch - etwas erweitert - die Grundlage für die erste Zürcher Neuinszenierung seit der Uraufführung. Im Programmheft zieht der Regisseur Nicolas Brieger eine Parallele zur Schweizer Asylpolitik während des Zweiten Weltkriegs. Erfreulicherweise verzichtet er jedoch in seiner Inszenierung auf platte Aktualisierungen, sondern erhält der Parabel ihre Allgemeingültigkeit. Auch das griechisch-orthodoxe Milieu wird nur angedeutet im Ornat des Popen. Die Kostüme von Jorge Jara verweisen auf die letzte Jahrhundertmitte. Das Hauptelement von Hans-Dieter Schaals Bühnenbild sind zwei übereck gestellte Wände mit Fragmenten religiöser Freskenmalerei.

Im Übrigen erzählt Brieger die Geschichte in konventionellen Bildern und mit routiniertem Handwerk. Das ausgezeichnet spielende Opern-Orchester, dirigiert vom jungen Norweger Eivind Gullberg Jensen, entfesselt die Kraft und den Farbenreichtum der Partitur. Auf der Bühne agiert ein hervorragendes, rollendeckend besetztes Ensemble. Robert Saccà als Manolios zeigt, wenn nötig, heldentenorale Stärke, gestaltet die Rolle insgesamt aber sehr differenziert. Der Chor beeindruckt durch seine Kraft und sein Volumen, nicht immer aber durch Klangkultur.