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Adelheid Aregger, Mittelland-Zeitung (05.12.2008)

Der Vogelhändler, 30.11.2008, Luzern

«Der Vogelhändler» erlebte eine farbig-plakativ-witzige Premiere, die zwar gewagt, aber anregend war
Das Experiment ist gelungen. Am Luzerner Theater wurde die Premiere von Carl Zellers Operette «Der Vogelhändler» (Uraufführung 1891 am Theater an der Wien) im Comic-Format begeistert beklatscht.
Stimmgewirr aus dem Orchestergraben. Eine Schädeldecke hebt und senkt sich, sie enthüllt rhythmisch einen Frauenkopf. Auf dem Prospekt lösen sich Wildschweine - päng - in Luft auf und junge Mädchen verwandeln sich in Witwen. Die Dorfbewohner in der Rheinpfalz haben alle Wildschweine gewildert und alle Frauen entjumpfert. Dem Kurfürsten bleibt nichts mehr zum Vernaschen. Hilfe tut not. Als Wildschwein tuts ein schwarz bemaltes Ferkel. Gegen eine Gebühr ist Baron Weps gern bereit, den Betrug zu dulden. Als der Kurfürst absagt, schlüpft Weps Neffe Stanislaus in die Kurfürsten-Rolle. Punkto Vernaschen steht er seinem Herrn in nichts nach und in Sachen Gebühren seinem Onkel nicht. Gottlob ist die reiche ältliche Baronin Adelaide giggerig, ihn zu ehelichen ... Die Folgen solchen Tuns tragen die Rechtschaffenen: die Christel von der Post, die den Adam heiraten möchte, wenn er einen Job hätte. Die Fürstin, die ihrem Gatten heimlich folgt und nicht merkt, dass sie Stanislaus auf der Spur ist.

Plot, Melodien, Worte blieben
So weit der uralte Stoff, aus dem Operetten genäht sind: Brokat und Samt und Seide, goldene Knöpfe und perlmutterne Kämme. Nichts von all dem ist auf der Luzerner Theaterbühne zu sehen. Geblieben ist der Plot, geblieben sind die Melodien, die Worte der Lieder auch, die den Inbegriff des «Vogelhändlers» ausmachen: «Schenkt man sich Rosen in Tirol», «Wie mein Ahnl zwanzig Jahr». Andere Texte sind der Zeit angepasst. Job und Chef und Miss Schweiz heisst es jetzt, wenn die Gegenwart Gegenstand der witzig verpackten Kritik ist wie schon in der goldenen Operettenzeit.
Luzerner Theater wagte es
Ganz das Jetzt widerspiegelt die äussere Aufmachung. Das Luzerner Theater hat es gewagt, den «Vogelhändler» in eine Comic-Geschichte zu verpacken. Knallige Farben statt Wände in Pastell. Streng geschnittene Kleider in Plakatfarben anstelle von Krinolinen und Paradeuniformen. Motzte einst turmhoher Kopfputz die Figuren auf, treten sie jetzt als Doppel-Ich auf. Ihr unentbehrliches Requisit ist - einer Hornusser-Schindel vergleichbar - ihr zweidimensionaler, überdimensionierter Kopf an einem Stecken. Stets wird er mitgetragen, dient als Waffe oder als Versteck. Hoch empor gereckt - zwei Seiten, zwei Mienen - zeigt er plakativ bis in die hintersten Sitzreihen, wer da vorn singt und spricht, wie er lacht und leidet. Zusätzlich fasst knapper Text über dem Bühnenportal den Inhalt der Lieder zusammen, kommentiert und wertet, was die grellen Gestalten bewegt, und was sie bewegen.
Sie sind aus den Comic-Streifen herausgetretene Figuren. Wie sich eine Zeichnung an die andere reiht, so folgt ein Schritt (Schnitt) dem anderen: Klick, klick, klick. Vierzig Füsse trippeln mal nach rechts und links, nach vorn und zurück. Das Auge ergötzt sich am temporeichen Spiel, am rasenden Hin und Her, verfolgt staunend das blitzschnelle Umstellen der Versatzstücke, das Ohr geniesst den Gesang, die Musik. Sie ist abwechslungsweise spritzig, romantisch, dramatisch, elegisch, sentimental, aufmüpfig.
Es ist kein Sakrileg
Und verwundert stellt der Operettenfreund fest: Den «Vogelhändler» in einem Comic-Kleid zu zeigen, ist kein Sakrileg. Bereitet sogar pures Vergnügen. Zur Spiellust auf der Bühne gesellt sich die Lust des Zuschauers im Saal. Ein Gewinn für beide Seiten. Ein Lohn für das Wagnis einer ungewöhnlichen Kombination, die sogar Platz lässt für die steppende Kellnerin. Ein Wink ans Publikum, kleine Signale auf der Bühne zu entdecken und zu deuten. Eben erst haben Sie-und-Er-Wildschwein begonnen, Gefallen aneinander zu finden, schon drehen sie sich am Bratspiess der Wilderer. Was soll der weisse Rauch, der aus dem Kamin des Pavillons quillt? Hat der Pseudo-Kurfürst, der Christel an die Wäsche will, Erfolg? Sie wird es später verneinen, wenn sie Adam die ganze Verwicklung enthüllt. Trotzdem ist das End nicht operettenhaft happy. Nur Baronin Adelaide zieht mit Stanislaus-Ersatz Baron Weps fröhlich von dannen. Die Kurfürstin wird ihren Lebenstraum ohne Kurfürst zu Ende träumen. Und noch immer sind Adam und Christel nicht einer Meinung über ihr zukünftiges Leben zu zweit ...