Groteske mit Höhenflügen

N. N., Der Bund (08.12.2008)

L'Elisir d'amore, 06.12.2008, Bern

Eine bunt-kräftige Neuinszenierung von Donizettis «L’Elisir d’amore» am Berner Stadttheater

Regisseur Aron Stiehl setzt auf Bewegung und schräge Zeichnung und das Sängerensemble des Stadttheaters Bern zeigt sich von seiner besten Seite.

Gaetano Donizettis «L’Elisir d’amore» ist eine Musikkomödie, deren ungebrochene Popularität sie bis heute zu einer der meistgespielten Opern macht. Das ist, bei allem Sentiment und allem Witz, die die Musik versprüht, keine Selbstverständlichkeit. Das Stück mit all seinen geradezu absurd anmutenden Wendungen und seinen reichlich schrägen Typen begeisterte aber bereits bei der Uraufführung vor über 130 Jahren in Mailand ein in Operndingen wählerisches Publikum. Es ist die Mischung aus Lyrik, Pikanterie und Groteske, die den Erfolg garantiert, und die sich auch in Bern zu einem attraktiven Elixier fügte.

Überzeichnung

Regisseur Aron Stiehl hat in Werken von Mozart bis Johann Strauss für die Komödie ein brillantes Handwerk entwickelt. Das Groteske und Überzeichnete lebt er nun auch in Donizettis «Melodramma giocoso» aus. Jeder irgendwie historisierende Ansatz führt in diesem Stück ohnehin in eine schwer erträgliche Biederkeit. Da ist es nur naheliegend, die bereits vom Librettisten Felice Romani an der Grenze zur Karikatur angesiedelten Typen entsprechend grell zu zeichnen. Stiehl verzichtet darum auf das bäuerliche Ambiente. Die Idylle verkehrt er in einen eher verschrobenen Badeort, dessen zwielichtiger Charme für ramboähnliche Gestalten wie den Sergeanten Belcore oder wunderheilende Scharlatane wie den Doktor Dulcamara gerade die rechte Spielwiese bildet. Robin Adams mischt als Belcore die kleinstädtische Verschlafenheit richtig auf. Und er tut dies wie gewohnt mit grossem körperlichen Einsatz, seilt sich vom Hubschrauber ab und markiert den Macho mit entsprechendem Einstand. Seine sängerische Sicherheit, die auch in Extremen bewundernswert bleibt, bedürfte nicht mal des ständigen Drucks. Für Dulcamara mischt die Regie ein Getränk aus Exotik und selbstironischer Esoterik, das Carlos Esquivel zum bemerkenswerten Verwandlungskünstler werden lässt. Bei aller Komik aber, die Stiehl im Duett zwischen Dulcamara und Adina im zweiten Akt entwickelt: Allzu viele spielerische Gags schränken da hin und wieder die sängerischen Möglichkeiten hörbar ein. Hélène Le Corre, die kurzfristig für die erkrankte Anne-Florence Marbot eingesprungen ist, hat als Adina in kurzer Frist eine herausragende Leistung erarbeitet. Denn in Stiehls Spiel gibt es kein Rampensingen, sind in der Personenregie Bewegung und wechselnde Konstellationen angesagt. Le Corre stützt zwar die Hochtöne meist mit Kraft, so dass sich der Glanz mit Härte mischt, aber ihre stimmliche und spielerische Agilität steht im Vordergrund.

Lyrischer Schwarm

«L’Elisir d’amore» erzählt in erster Linie die Geschichte des einfältigen Tropfs vom Lande, der sich unsterblich in die kokette und reichlich flatterhafte Adina verliebt. In Stiehls Erzählweise wird Nemorino, der kleine Niemand also, zum Tankstellenwart, der mit seinen schmachtenden Liebesseufzern bei Adina gegenüber dem gleich mit einem ganzen uniformierten Harem auftretenden Belcore wenig erreichen kann. Diese Geschichte ginge nun ob all dem besitzergreifenden Gehabe des Sergeanten und dem raumfüllenden Auftritt des Scharlatans Dulcamara beinahe unter, wüsste sich Alexey Kudrya als Nemorino nicht immer wieder durch seine lyrisch-intensive Stimme Gehör zu verschaffen. Kudrya überzeugt mit einer auch im Detail Aufmerksamkeit heischenden Gestik und Mimik, gefällt sängerisch auf der ganzen Linie, und sein weicher Tenor scheint für die Partie wie geschaffen. Seine populäre Romanze «Una furtiva lagrima» animierte zwar zum erwartet grossen Applaus, blieb aber nur eines unter vielen Beispielen.

Bewegung und Statik

Für alle vier Protagonisten hat Jürgen Kirner (Bühnen und Kostüme) eine auf sie zugeschnittene, kleine Bühne geschaffen. Dadurch wird der Raum beweglich und vielgestaltig, was die Regie zu entsprechend markanten Auftrittsszenen nutzt. Es erstaunt allerdings, wie statisch, mitunter geradezu fantasielos, sich der Chor bewegt. Die Gestik, die alle Chorsätze begleiten und die verschiedentlich an Jean-Pierre Ponnelles geschichtemachende «Cenerentola»-Inszenierung erinnert, vermögen die Umständlichkeit in den Chorbewegungen kaum wettzumachen. Überhaupt macht sich hier auch der einzige nennenswerte Einwand zu dieser Produktion bemerkbar: Bei aller originellen Groteske von Bild, Zeichnung und Spiel mangelt es der Aufführung oft an Tempo und die Präzision ist gerade bei den Chören keine Qualität dieser Einstudierung. Dies liegt unter anderem an dem pauschalen Umgang mit den musikalischen Feinheiten der Partitur. Dorian Keilhack (musikalische Leitung) täte gut daran, die szenische Überzeichnung aufzugreifen, die unendlichen Farb- und Charakterwechsel dieser Musik nachhaltiger auszukosten, ja überhaupt deutlich zu manchen. Am Berner Symphonieorchester liegt dies jedenfalls nicht. Die zahllosen wirkungsvoll und brillant umgesetzten solistischen Einzelleistungen stehen dafür. Für die Qualität dieser Inszenierung steht indes die Art wie die Figuren auch in der Groteske liebenswürdig erscheinen.