Wagners gutbürgerliches Liebesdesaster in drei Gängen

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (12.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Es war die mit am meisten Spannung erwartete Premiere der Zürcher Opernsaison. Wagners «Tristan und Isolde» von Ingo Metzmacher und Claus Guth hat bei der Premiere am Mittwoch die Erwartungen denn auch grösstenteils erfüllt.

Kein Schiff, keine Matrosen, keine Krieger und schwertschwingende Helden, keine verfallene Burg, kein Mittelalter: Regisseur Claus Guth verlegte die ganze Tristan- Handlung in die Zürcher Villa Wesendonck, den Ort der Liaison Richard Wagners mit seiner Muse Mathilde Wesendonck, der Ehefrau seines Gönners. So mutiert Tristan zu Richard Wagner, König Marke zu Otto Wesendonck, Mathilde ist Isolde, Brangäne ihr Zwilling oder auch dieselbe Person wie Mathilde. Denn Guth spielt bei seiner Zürcher Inszenierung von Wagners «Tristan und Isolde» ein wenig mit den Elementen des Übersinnlichen, mit zeitlichen und örtlichen Verwerfungen, Fantasien und Einbildungen und konkretisiert damit die schon bei Wagner angelegte Verlagerung des Dramas ins Innere des Liebespaars, das sich inmitten der bürgerlichen Gesellschaft bewegt und gegen aussen deren Regeln befolgen muss.

Den Details verfallen

Guth scheint an der bürgerlichen Gesellschaft besonders interessiert, wie die Premiere im Zürcher Opernhaus gezeigt hat: Die bessere Zürcher Gesellschaft der Fünfzigerjahre des 19. Jahrhunderts ist in seiner Tristan-Inszenierung ständig präsent. Unter ihren Augen brennt die verbotene Liebe zwischen Richard und Mathilde, die zwar keines Zaubertranks bedarf, aber sich für die Nachwelt umso blühender in Briefen und schwärmerischen Gedichten äussert.

Wie meistens, ist Guth sehr aufmerksam den Details der Personenführung gegenüber und schafft es auch hier, manche eindringliche Szene oder verdeutlichende Geste zum Gewinn seines Konzepts einzusetzen. Das Konzept als Ganzes hingegen geht nicht vollständig auf. Die Idee wirkt zu Beginn bestechend, aber sie hätte mehr Gedankenarbeit, mehr intellektuelle Durchdringung, vielleicht auch mehr Zeit verlangt. Die von bürgerlichem Wohlstand durchdrungenen Gemächer verwandeln sich im dritten Akt in einen Hinterhof mit abblätternder Fassade und einem Kurwenal als saufenden Penner, was der Figur in keiner Weise gerecht wird. Die Nacht der Liebe beginnt vielversprechend inmitten der tanzenden Gesellschaft, endet aber auf der grossen Tafel im klischeehaften Desaster. Die Drehbühne verführt Guth etwas zu oft zum Karrussellfahren, etwa am Ende des zweiten Akts, als Isolde ihrem Tristan ganze 360 Grad brav hinterhertrottet.

Eine Isolde von Weltformat

Isolde übernahm indes sängerisch die Führungsrolle: Nina Stemme ist eine Isolde von absolutem Weltformat. Überaus beeindruckend, wie sie bei der Premiere am Mittwochabend diese Gipfelpartie des Repertoires ohne jede Ermüdungserscheinungen sang, dabei stets erstaunlich textverständlich blieb und in ihren gestalterischen Nuancen die ganze Palette an Farben und Dynamik abrufen konnte. Ian Storey als Tristan liess zu Beginn solche Souveränität weitgehend vermissen. Im ersten Akt entschwand ihm öfters die Stimme. Aber er steigerte sich zusehends und in seinen grossen Szenen des dritten Akts schien er wie ausgewechselt, überstrahlte kraftvoll das ganze Orchester, aber gestaltete auch Tristans leise, schwache Momente mit intakten stimmlichen Mitteln.

Begeisternd sang auch Martin Gantner bei seinem Rollendebüt als Kurwenal: Da wächst ein glänzender dramatischer Bariton mit einer goldenen Stimme heran. Michelle Breedt erstaunte als Brangäne nach ihrem blassen Orlowsky mit einer mitreissenden, bisweilen glühenden Interpretation. Alfred Muff hingegen sang zwar mit potenter Stimme, blieb aber farblich eindimensional und vermochte seinem König Marke das Karikaturhafte auch schauspielerisch nicht zu nehmen.

Dezidierte Meinungen vertrat Ingo Metzmacher am Pult des Zürcher Opernorchesters, das insgesamt über weite Strecken als Kollektiv brillierte und auch über herausragende Solisten verfügte. Metzmacher zelebrierte seinen «Tristan» nie, sondern suchte eifrig die Gestaltungsmöglichkeiten und Details in der Partitur und wurde auf Schritt und Tritt fündig. Hin und wieder übertrieb er jedoch leicht in der Schroffheit der Akzente oder im brachialen Verändern der Tempi, aber insgesamt gelang ihm eine sehr eindringliche, vielschichtige, dynamisch und klangfarblich wache und damit oft auch sängerfreundliche Auslegung, die dennoch nie den Fluss und den Sog verlor.