N.N., Der Bund (12.12.2008)
Richard Wagners «Tristan und Isolde» als Steigerungslauf am Opernhaus Zürich
Statt einer Burg eine Villa, statt einem König ein Zürcher Villenbesitzer: Am Opernhaus Zürich verlegt Claus Guth «Tristan und Isolde» vom mystischen Kornwall in die Welt des Zürcher Bürgertums zu Wagners Zeit.
Das Konzept von Claus Guth ist klug aus der Entstehungsgeschichte des Werks abgeleitet, funktioniert auf der Bühne aber wie die musikalische Umsetzung erst nach ziemlich langer Anlaufzeit. Denn schon nach vier Takten, nach dem ersten Tristan-Akkord schaltet Dirigent Ingo Metzmacher eine Generalpause ein, das Vorspiel nimmt er extrem langsam – mit dem Effekt, dass sich weder ekstatische Wirkung noch Spannung aufbauen können, dafür kleinste Unsauberkeiten in den Einsätzen hörbar werden.
Dynamische Stufen stehen schroff nebeneinander, und ob der vielen überraschenden Tempo- und Stimmungsänderungen (erstaunlich, wie viele geradezu lüpfige Bläsereinsätze Metzmacher entdeckt), entsteht im ersten Aufzug ein ungewohnt wildes, ja zerklüftetes Bild, und der schüttere Choreinsatz von hinter den Kulissen schafft auch keinen durchgehenden Bogen.
Drehbühne im Dauereinsatz
Damit tut sich auch die Regie schwer und weicht darum auf Schauplatzwechsel durch Drehbühneneinsatz aus. Aus dem grossbürgerlichen Gemach, in dem sich der aktenkoffertragende Marke gerade von der schlafenden Isolde verabschiedet, gehts ins Vorzimmer, zurück ins Gemach, dann in den Wintergarten und schliesslich ins spiegelbildlich nachgebildete Traum-Gemach. Ausstatter Christian Schmidt gibt dem Ambiente durch gesprungene Anstriche und eine seltsame Kahlheit zwar Widerhaken, prägend aber bleibt die radikale Umdeutung der Geschichte, in der Tristan als Brautwerber Isolde abholen und übers Meer ihrem künftigen, viel älteren Mann Marke zuführen würde.
Verkleinerung des Absoluten
Wozu sich der verhasste Tristan in Guths neuem Setting überhaupt in Isoldes Villa aufhält, bleibt rätselhaft, das Schiff als Ort, wo sich die beiden nicht ausweichen können, verliert seinen Sinn, und damit fehlt der Dreh- und Angelpunkt für die 5-Stunden-Oper. Daran krankt die Aufführung mindestens den ganzen ersten Aufzug. Guth liest die Dreiecksgeschichte analog zur Entstehungsgeschichte der Oper: Sein Tristan ist Richard Wagner, der in der Zürcher Villa Wesendonck (heute das Museum Riedberg) in Mathilde zuerst die Mäzenin und dann die Liebhaberin findet. Ihr Mann, der Industrielle Otto Wesendonck, wird zum betrogenen (und verzeihenden) König Marke.
Aus Wagners Briefen an Mathilde und seinen Tagebüchern wird klar, dass dieses Verhältnis Grundlage für «Tristan und Isolde» war. Aber Wagner hat die Geschichte musikalisch sublimiert und sie künstlerisch ins Absolute übersteigert: «Ertrinken, versinken / unbewusst / höchste Lust» singt Isolde im berühmten «Liebestod». Trotz den Verfremdungen verkleinert die konkrete sozialhistorische Lesart das Stück genau da, wo es in Text und Musik ins Unendliche strebt.
Intensitätssteigerung
Schwierig, unter diesen Prämissen noch eine überzeugende Inszenierung zu realisieren, und es spricht für den viel beschäftigten Guth, wie viele spannende und berührende Momente er zwischen den Figuren zu schaffen, wie er die Figuren zunehmend zu konturieren und der Geschichte zunehmende Stringenz zu geben vermag.
Wer in der Pause ging (es waren ein paar, welche die Lücken im Publikum noch vergrösserten), machte einen Fehler, denn musikalisch zeigt sich dieselbe Tendenz. Schon im zweiten Akt wirkt Metzmachers Dirigat einheitlicher, findet Bögen und trägt so auch die Sänger immer besser. Metzmacher zielt vielleicht zu bewusst auf neue Aspekte und Effekte. Was er findet, wirkt nicht immer zwingend, wird aber immer freier und auch immer interessanter jenseits aller Routine.
Michelle Breedts warme Brangäne (hier eher Isoldes Zwillingsschwester als Dienerin) und Nina Stemmes höchst eindrucksvolle, textverständliche und scheinbar mühelos leichte Isolde haben es als Figuren von Anfang an leichter, Kurwenal (Martin Gantner) und Marke (Alfred Muff – die Rolle als braver Ehemann liegt ihm, er entwickelt aber wenige Farben, und den tiefen Schmerz nimmt man ihm nicht recht ab) müssen ihr Profil szenisch wie vokal mehr entwickeln. Im zweiten Akt gewinnt auch Ian Storeys Tristan, dem die Stimme im ersten oft in den Gaumen rutschte und der teilweise kaum hörbar war, an Farbe, Gewicht und Format. Im dritten, selbst bei Tristan-Darstellern gefürchteten Akt mit seinen ewig langen Fiebervisionen erkennt man den Tenor vom Anfang kaum wieder – ganz ähnlich wie auf der eben veröffentlichten DVD der letztjährigen Scala-Eröffnung unter Barenboim/Chéreau (bei Virgin Classics): Storey weiss offenbar seine Kräfte einzuteilen.
Mitreissendes Finale
Und spätestens im Liebestod mit Nina Stemmes Steigerung vom feinsten Piano zu leuchtendstem Forte, von Metzmacher und dem längst hellwachen Opernhausorchester sinnlich und mitreissend begleitet, landen «Tristan und Isolde» doch noch beim schieren Glück, welches das reale soziale Umfeld für Momente überwinden kann. Einhelliger Jubel.