Tristan und Isolde in der Zürcher Villa Wesendonck

Susanne Kübler , Tages-Anzeiger (12.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Das Premierenpublikum jubelte, und es hatte recht: Wagners «Tristan und Isolde» am Zürcher Opernhaus ist ein Wurf.

Nein, diese Liebe ist nicht von dieser Welt. Geweckt wird sie durch einen Zaubertrank, und ihre tiefste Sehnsucht ist nicht ein gemeinsames Leben der Liebenden, sondern ein gemeinsamer Tod. Und doch gibt es im zweiten Aufzug Momente vitaler Leidenschaft, die in den meisten «Tristan»-Inszenierungen in irgendeinem Schlafzimmer stattfinden. Bei Claus Guth müssen sie nun in einem Festsaal zusammengeklaut werden, kostbare Sekunden, in denen die Zeit und die anderen Gäste still stehen, in denen eine kleine Berührung oder ein Blick möglich sind. Denn die Gesellschaft hätte kein Verständnis für diese Liebe zwischen Isolde, König Markes Gattin, und Tristan, seinem Getreuen.

Liebe im Drei- und Viereck

Die Gesellschaft hatte auch kein Verständnis für die Liebe (oder was immer es war: Bewunderung, Musenverhältnis, Flirt, Affäre) zwischen Richard Wagner und Mathilde, der Gattin des Zürcher Industriellen Otto Wesendonck. An sie und an sich dachte Wagner, als er den «Tristan» konzipierte, ihr hat er «hochbeglückt, schmerzentrückt, frei und rein, ewig Dein» eine Kompositionsskizze gewidmet. Fertiggestellt wurde das Werk dann nicht mehr in Zürich: Das opernhafte Dreiecksverhältnis, das in Wirklichkeit dank Wagners Frau Minna ein Vierecksverhältnis war, wurde unhaltbar. Wagner ging - nicht auf die väterliche Burg wie Tristan, sondern erst einmal nach Venedig.

Es ist von daher eine nahe liegende und trotzdem neue Idee von Guth und seinem Ausstatter Christian Schmidt, den «Tristan» in Räume zu versetzen, wie es sie in der Villa Wesendonck - dem heutigen Rietbergmuseum - gegeben haben könnte. Das heisst für den ersten Aufzug: Kein Schiff, kein Meer, sondern auf einer Drehbühne Schlafzimmer in dunkelrot, grossbürgerliches Mobiliar, eine Isolde im Nachthemd, und ein Marke, der schon längst da ist, obwohl man erst zu ihm reist. Manche Textpassagen klingen so wie im Traum, andere muss man überhören; aber die Art dieser Geschichte und dieser Liebe wird schon hier überaus einleuchtend dargestellt.

Denn man kann nur schwärmen über die Genauigkeit und Sensibilität, mit der die Figuren durch die (Seelen-)Räume geführt werden, mit der sie ihre Rollen ausfüllen: Nina Stemme ist eine zunächst unbändig wütende Isolde, und auch der Zaubertrank macht sie keineswegs zur sanften Liebenden. Es ist eine unheimliche Besessenheit in ihrer Art, eine schmerzhafte Intensität. All die lichteren, «normaleren» Gefühle - die Lebenslust, die Furcht vor Entdeckung - überlässt sie ihrer Vertrauten Brangäne, die Claus Guth (der schon oft ein Flair für Doubles hatte in seinen Inszenierungen) als Doppelgängerin Isoldes präsentiert.

Und dann ist da Tristan, der ganz sacht die Tür zumacht, wenn Brangäne die Liebenden mit ihrem «habet acht» warnt: Er, der sich von Isolde zuerst so selbstbewusst fernhält, gerät ganz in ihren Bann. Ian Storey kann genau so unerschütterlich und traumwandlerisch wirken wie Nina Stemme, und beide brauchen weder Umarmungen noch Küsse, um Leidenschaft darzustellen. Ein Blick, eine Haltung genügen, um die Unentrinnbarkeit, auch Ausweglosigkeit ihrer Liebe klarzumachen. Glück sieht anders aus.

Aber klingen tut es genau so: Die Stimmen in dieser Zürcher Produktion sind grossartig. Vor allem jene der Schwedin Nina Stemme, die enorm laut singen kann, ohne je zu schreien. Auch zurücknehmen kann sie sich, ohne blasser zu werden dabei. Und den Text gestaltet sie nicht nur jederzeit deutlich, sondern füllt ihn mit so viel Farben und emotionaler Kraft, dass selbst die ausuferndsten Passagen des Werks zum Erlebnis werden. Auch Ian Storeys Tristan ist vokal ebenso präsent wie szenisch: als einer, der nie ausser sich gerät und doch alles gibt. Vielleicht ist sein Vibrato im letzten Aufzug, wenn es vor nun gar nicht mehr bürgerlichen Wänden ans Sterben geht, etwas allzu irdisch; aber was er sonst an Zartheit und Sehnsucht ins Fortissimo legt, wie er ganz zuletzt erlischt - das macht ihn zum würdigen Partner dieser Isolde.

Als Zuhörerin schätzt man im Unterschied zu den Liebenden auch Brangäne: Michelle Breedts Sopran leuchtet in einer Weise, die sie auch stimmlich zur «anderen» Isolde werden lässt. Martin Gantners Kurwenal sorgt mit Ironie und liedhaftem Temperament für einen ganz anderen Ton im Stück. Und Alfred Muff spricht als König Marke manchmal fast mehr, als dass er singt; das tut der Intonation nicht immer gut, sorgt aber für ein starkes Rollenporträt eines Gatten, der längst aufgegeben hat.

Prunken und erzählen

Das Orchester der Oper muss sich diesen Stimmen gegenüber nicht zurückhalten und tut es auch nicht. Dirigent Ingo Metzmacher geht aufs Ganze: in mächtigen, rauschhaften Gesten, mit rundem, flüssigem (und oft recht zügig fliessendem) Klang. Aber es geht ihm nicht nur ums Prunken, sondern noch viel mehr ums Erzählen: So genau Guth die Figuren führt, so charakteristisch begleitet sie auch das Orchester. Das pausenreiche Stocken der Musik etwa, das am Anfang der Ouvertüre noch etwas «gemacht» wirkt, ergibt sich später wie von selbst. Die Kurwenal-Auftritte im ersten Aufzug hört man selten so deftig. Die echte Musik in der Geschichte - wie die Hörner oder das Hirtenlied - fügt sich unmissverständlich und zugleich unaufdringlich ins klangliche Geschehen. Und nur stellvertretend für viele schöne Soli sei jenes des Englischhorns im dritten Aufzug erwähnt: So frei, so natürlich wirkt es, dass man es mit derselben nostalgischen Anwandlung hört wie Tristan.

Die Musik stützt so das, was die Inszenierung will: Die Erzählung einer Liebe, die nicht in diese Welt gehört und einen trotzdem zutiefst berührt. Wenn der Abend nicht schon so lang gewesen wäre, hätte man nach Isoldes Liebestod glatt «da capo» gerufen.