Zürcher Villa als Treibhaus der Gefühle

Herbert Büttiker, Der Landbote (12.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Liebe und Tod zelebriert «Tristan und Isolde» als Einheit: eine Entgrenzung, die auch musikalisch Grenzen sprengt. Die Titelheldin Nina Stemme und das ganze Ensemble wurden für eine überwältigende Leistung gefeiert.

Mit sattem stimmlichem Glanz, souveräner Kontrolle in alle Extreme der Partie und unermüdlicher Energie lässt Nina Stemme ein Frauenschicksal erleben, das sich nicht im Fantasiereich eines alten Mythos, sondern in der historischen Wirklichkeit ereignet, und Ian Storey – ein Tenor, der die Partie nuancenreich gestaltet und den riesigen Monolog im dritten Akt imponierend meistert – ist als Tristan ebenso wenig eine sagenumwobene Gestalt: Auf der Bühne des Opernhauses wird eine der grossen Skandalgeschichten im grossbürgerlichen Zürich des 19. Jahrhunderts abgehandelt.

Mit Mathilde Wesendonck hatte Richard Wagner in seinen Zürcher Jahren eine Liebesbeziehung, deren Skandal ihn schliesslich vertrieb: Weg aus dem «Asyl» neben der Villa, wo der Komponist mit seiner Frau in den Jahren 1857/1858 als Gäste seines Gönners Otto Wesendonck und dessen Frau Mathilde wohnten. Hier entstand auch die Dichtung und ein Teil der Oper «Tristan und Isolde», an der die Freundin nicht nur als «Muse» Anteil hatte. Gedichte von ihr inspirierten den Komponisten zu Vertonungen, die als Studien für die Oper betrachtet werden können. «Im Treibhaus» lautet der Titel des ersten.

Magie der Bilder

Als Treibhaus der Gefühle steht die Villa Wesendonck jetzt auf der Zürcher Opernbühne, und im Gang durch die drei Akte geht es durch viele Türen des herrschaftlichen Hauses, das für Isolde ein Ehegefängnis ist. Im Schlafraum und Reduit kämpft sie mit ihren Gefühlen und beschliesst, mit Tristan, den sie liebt und der sie verraten hat, Gift zu nehmen. Eine schwierige Aussprache führt dann beide auch auf die Veranda mit ihren exotischen Pflanzen, eben das Treibhaus. Und da das Gift nicht zum Tod führt, sondern das Liebesfeuer entfacht, geht es weiter mit der Magie der Bilder: Die lyrisch schönste Wagner-Musik im zweiten Akt geht auf im Bild vom Schattenspiel der Bäume im Mondlicht. Die erregte Zwiesprache im grossen Duett findet in munchscher Schwüle während des Empfangs im Salon statt, und zur leidenschaftlichen Umarmung kommt es wenig lauschig im Bankettsaal, wo die Gäste gegangen sind und ein paar Kerzen noch brennen.

Als «Kunst des Übergangs» charakterisierte Wagner selber seine Musik, und viel davon versteht auch der Bühnenbildner Christian Schmidt, der sich für diese Inszenierung einmal mehr ingeniös der Drehbühne bedient, um einen cineastischen Bilderfluss entstehen zu lassen. Wie dann der Regisseur Claus Guth die Figuren durch diese Räume führt – konterkariert durch die «gefrorenen» Gruppierungen des Gesellschaftslebens – und wie sie in und mit der Atmosphäre dieser Räume ihr Inneres offenbaren, ist immer wieder von atemraubender Schönheit und Wahrheit. Entstanden ist etwas durchaus Neues: eine Inszenierung von «Tristan und Isolde» und zugleich über den Komponisten und sein Werk.

Mythos und Wagner-Roman

Gegen solche Vermischung der Komponistenbiografie mit dem Werk gibt es natürlich auch Einwände. Der mittelalterliche Roman schafft vor allem mit der Geschichte um Tristans «Verrat» eine ziemlich abenteuerliche Voraussetzung für ein Ehebruchsdrama des 19. Jahrhunderts, und natürlich kommt es zu Reibungen mit dem Text, wenn der Schauplatz von einem Schiff in eine Villa verlegt ist. Umgekehrt verpasst es die Inszenierung, auch den 3. Akt biografisch klar zu verorten. Dabei hätte es wenig gebraucht, die verschlissenen Hausfassaden mit Venedig zu assoziieren, wo Wagner sich zurückzog, um an «Tristan» zu arbeiten und die Liebeswunde zu pflegen.

Auch vor der Verzeichnung Markes zum schon fast greisenhaften Ehemann hätte der Blick in die Biografie warnen können: der Geschäftsmann war immerhin etwa um zwei Jahre jünger als sein Künstler-Rivale. Gleichwohl – und das ist entscheidender – gehört der Monolog des Betrogenen mit Alfed Muffs ebenso markigem wie resignativem Klang zu den grossen Momenten des Abends. Das gesellschaftliche Umfeld trägt da wirklich zur Klärung dessen bei, was im Stück geschieht, etwa wenn Marke den Verrat ganz als eine Sache unter Männern verhandelt, während die Frau an seiner Seite sitzt.

Isoldes Zerrissenheit akzentuiert die Regie noch dadurch, dass sie Brangäne, die warnende, die am Leben hängende (und deshalb das Gift vertauschende) und am Ende überlebende Freundin zu Isoldes Alter Ego macht. Das geschieht durch Kostüm und Frisur, überraschend aber auch durch die Stimme: Michelle Breedt gibt für einmal keine dämonisch dunkle, sondern jugendliche, aber dramatisch intensive und klangschöne Brangäne.

Kluge Regie und musikalische Eindringlichkeit – gerade das Beispiel Brangäne zeigt, dass der neue «Tristan» weit davon entfernt ist, sich in der Trivialität eines Wagner-Romans zu verfangen. Für den starken Zug in die Gegenrichtung, hin zum erzromantischen Mythos, zur Entgrenzung, die ja auch ihre kompositorisch revolutionäre Seite hat, hin zu «Isoldes Liebestod» als Quintessenz, sorgte grossartig die musikalische Statur des Abends unter der Leitung von Ingo Metzmacher. Wie mit ihm das durchwegs eindrückliche Ensemble – nicht zu vergessen Martin Gantner (Kurneval) und Volker Vogel (Melot) – und das in allen Farben sinnlich präzise Orchester wirklich sinfonisch zusammen agierten, wie da stets szenisch waches Musizieren waltete, liess aufhorchen. Aus der Stille heraus entstand Raum für subtile Klangnuancen und Feinheiten im lyrischen Melos. An straffen Zügeln entwickelte sich nervige Dramatik und mit traumwandlerischem Kalkül die ins Rauschhafte abhebenden Steigerungswellen.