Im Treibhaus erotischer Urkräfte

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (12.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Nicht in einem weltentrückten Innenraum blüht und stirbt in Claus Guths Inszenierung die Liebe Tristans und Isoldes, sondern mitten in der sozialen Realität. Eine ungemein packende szenische Konzeption.

Es könnte Richard Wagners eigene Geschichte sein: sein Liebesverhältnis mit Mathilde Wesendonck, der Gattin seines Mäzens während Wagners Zürcher Aufenthalt. Liebe, Ehebruch und als Folge davon eine peinliche gesellschaftliche Schieflage, der sich Wagner damals nur durch Flucht zu entziehen vermochte. In seiner Oper «Tristan und Isolde» lässt er die beiden Liebenden untergehen; am Schluss weht die «schwarze Flagge» (wie Wagner an Liszt schrieb) als Zeichen dafür, dass solche bedingungslose Gefühlsansprüche, resultierend aus der Urkraft des Eros, an den gesellschaftlichen Konventionen scheitern müssen.

Verweis aufs 19. Jahrhundert

Genau das inszeniert Claus Guth, indem er das soziale Umfeld stets mitdenkt und jederzeit prominent mit ins Spiel bringt. Christian Schmidts Bühnenbilder und Kostüme verweisen auf das Ende des 19. Jahrhunderts, die Drehbühne zeigt dem Publikum repräsentative Räume, die durchaus an die Villa der Wesendoncks denken lassen. So stimmig das anzuschauen und jederzeit auch nachzuvollziehen ist, so störend ist zuweilen dennoch die Diskrepanz zum gesungenen Text, vor allem im ersten Akt, wo sich Tristan und Isolde bekanntlich auf einem Schiff befinden auf der Überfahrt von Irland nach Cornwall.

Doch spätestens am Aktende, wenn Isolde ihrem künftigen Gatten und der ihn umgebenden Festgesellschaft beim Steh-Apéro zugeführt wird, vergisst man solche Bedenken. Da sich das Liebensduett der beiden (im zweiten Akt) aus eben dieser Festgesellschaft heraus entwickelt, wird die gesellschaftliche Brisanz ihrer erotischen Verfallenheit in der ganzen Tragweite sicht- und spürbar. Nur kurz ist ihnen ein Alleinsein gegönnt, auf dem Balkon («O sink hernieder, Nacht der Liebe») und später an der bereits verlassenen Festtafel, wo sie prompt überrascht werden und auf der aussichtslosen Flucht durch Türen und Räume im Rauchzimmer vor den beim Wein sitzenden Herren landen.

Hier setzt Marke, der gehörnte Ehemann, zu seinem Monolog an, gibt seiner Enttäuschung stimmgewaltig Ausdruck, und Alfred Muff tut das in einer Weise, wie man es so überzeugend lange nicht mehr erlebt hat. Im dritten Akt durchlebt der tödlich verwundete Tristan in seinen Fieberträumen noch einmal alle Stationen seiner Liebe, indem er die realen Räume des Geschehens abermals durchquert und sie so zu seinen Weltinnenräumen macht. Ian Storey gelingt das schauspielerisch in jedem Zoll überzeugend, wogegen er stimmlich, trotz heldischer Töne, ein einigermassen eindimensionaler Tristan bleibt.

Ereignishaft

Da setzt Nina Stemme als Isolde ganz andere Massstäbe. Sie ist das absolute Ereignis dieser Inszenierung, eine verletzte Frau, die nach Rache giert, aber dennoch der chaotischen Allmacht der Erotik verfällt und das alles mit einer schauspielerischen Gewandtheit und einer stimmlichen Fülle zum Ausdruck bringt, die ihresgleichen heute sonst nirgends hat. Michelle Breedt sekundiert als Brangäne vor allem im ersten Akt mit beeindruckendem Impetus; Martin Gantner gibt als Kurwenal ein derart ausgefeiltes Debüt, als wäre ihm die Rolle auf den Leib geschrieben.

Das andere grosse Ereignis ist Ingo Metzmacher am Pult des Opernhaus-Orchesters, das mit praller, satter, ja geradezu «irdischer» Klangpracht aufwartet. Bewundernswert ist die Feinzeichnung harmonischer Details sowie die Transparenz des Stimmengewebes, das Metzmacher (beispielhaft in den Vorspielen zum ersten und dritten Akt) mit souveräner Ruhe entfaltet. Umgekehrt hat sein waches, leidenschaftliches Dirigat eine Sogkraft, der man sich nicht entziehen kann. Nach fünfeinhalb Stunden Aufführungsdauer gab es verdientermassen riesige Ovationen und Begeisterungsstürme im Publikum.

«Löse von der Welt mich los»

«Da ich nun aber im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll», schrieb Richard Wagner im Dezember des Jahres 1854 an seinen Schwiegervater Franz Liszt. Das Hohe Lied der Liebe wollte er mit «Tristan und Isolde», einer Handlung in drei Aufzügen, dichten und singen; gleichzeitig wurde es ein Lied vom Tod. Denn die Utopie einer alles ergreifenden, alles umfassenden Liebe, die keinerlei Rücksichten auf gesellschaftliche Formzwänge nimmt, setzt gleichsam die totale Abwesenheit von Welt voraus: «Lass den Tag dem Tode weichen», heisst es im zweiten Aufzug, «gib vergessen, dass ich lebe», singen Tristan und Isolde, in Verzückung vereint, «löse von der Welt mich los».

Mit dem «Tristan» löste sich Richard Wagner nicht nur metaphysisch von der Welt, sondern auch von der musikalischen und gesellschaftlichen Tradition. In dieser Hinsicht ist «Tristan und Isolde» zweifellos Wagners Hauptwerk. Sein Ausnahmecharakter ist einerseits durch sein Thema gegeben, den Ehebruch als eine gleichsam höhere, natürliche Notwendigkeit, und er manifestiert sich anderseits auch darin, dass «Tristan» wie kein anderes Werk Wagners die Musikgeschichte in ihrem zukünftigen Verlauf beeinflusste. Bereits der berühmte «Tristan»-Akkord zu Beginn des Vorspiels zur Oper öffnet die Vorhöfe zu einer neuen, nicht mehr tonalen Musik. Alles ist in Auflösung.