Im Zürcher Asyl

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (11.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Regisseur Claus Guth verlegt "Tristan und Isolde" in den Dunstkreis von Richard Wagners Zürcher Asyl. Ingo Metzmacher dirigiert.

Bei seiner Neuinszenierung von Wagners "Tristan und Isolde" setzt der deutsche Regisseur Claus Guth bei der Entstehungsgeschichte an und lenkt seinen Blick auf das bürgerliche Milieu, den gesellschaftlichen Druck, der auf dem Liebespaar lastet. Konsequenterweise lässt er den Abend in einer klassizistischen Villa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielen. Ein großzügiges Schlafgemach und fensterlose, elegant-kühle Säle auf einer Drehbühne, die häufige, aber niemals störende Ortswechsel erlaubt und einen aktiven Gegenpol zu der äußerlichen Handlungsarmut setzt (Ausstattung: Christian Schmidt). Die Bilder im Programmheft zeigen es: So ähnlich hat es in Otto und Mathilde Wesendoncks Villa über dem Zürichsee ausgesehen, als Wagner in seinem Asyl nur wenige Schritte entfernt seinen Tristan komponierte.

Das Meer und die Natur sind aus diesem von gesellschaftlichen Konventionen beherrschten Umfeld verbannt, sieht man von den subtropischen Kübelpflanzen auf der Terrasse ab, die vielmehr Zeichen der schwülen, von Liebe geschwängerten Atmosphäre sind. Isolde ist hin- und hergerissen zwischen Hass, Liebe und ihren bürgerlichen Tugenden. Zwei Seelen scheinen in ihr zu wohnen. Deshalb lässt Guth Isolde und Brangäne zu einer Person verschmelzen und klont sie äusserlich: Brangäne verkörpert die in der zeitgenössischen Gesellschaft Verwurzelte und sich den Konventionen Anpassende, während Isolde ihren verbotenen Gefühlen freien Lauf lassen darf. Interessant ist dieser Ansatz vor allem am Schluss: Während Isolde neben Tristan sinkt, verlässt Brangäne gemeinsam mit Marke den Festsaal des Hauses.

Dass das Paar sich gegen gesellschaftliche Konventionen stellt, zeigt Guth im zweiten Aufzug: Tristan und Isolde begegnen sich auf einem Ball, wo sie sich schon rein altersmässig von der in schwarze Roben geladenen Gesellschaft unterscheiden. Heimlich versuchen sie, einen Blick des Anderen zu erhaschen, und einmal reicht es sogar zu einem flüchtigen Kuss. Die Gesellschaft erstarrt immer wieder, wenn das Liebespaar in seine eigene Welt entflieht. Wunderschön dann das "O sink hernieder", bei dem sich die Beiden unter einem auf eine Flurwand projizierten Laubbaumschatten in die Arme sinken.

Doch wie lässt sich Guths Ansatz im dritten Aufzug weiterführen? Tristan und Kurwenal werden zu Randständigen, die in den Hauseingängen scheinbar so eleganter Villen campieren. Scheinbar elegant, weil auch im fahlen Licht nicht zu übersehen ist, dass der Putz von den Fassaden bröckelt. Nur eine Ungereimtheit leistet sich Guth, wenn nämlich der Steuermann als Schiffsoffizier auftritt. Doch das ist ein vernachlässigbares Detail in einer insgesamt kongenialen Inszenierung.

Eine nahezu perfekte Ergänzung zum Szenischen bildet das Dirigat von Ingo Metzmacher, der auf ein geradliniges, schlankes, flüssiges Klangbild und wohl dosierte dramatische Impulse setzt. Einziger Wermutstropfen ist die nicht immer dem Haus angepasste Lautstärke. Auf den ekstatischen Klangrausch wartet man an diesem Abend vergeblich, doch der würde sich auch nicht in das Gesamtbild einfügen. Das Opernhaus-Orchester folgte Metzmacher am Mittwoch (10.12.) engagiert und meist konzentriert.

Eine Klasse für sich ist die Bayreuth-erfahrene Isolde, Nina Stemme. Sie bringt alles für die Partie mit, was man sich nur wünschen kann: leuchtende Durchschlagskraft, Fülle und ein strömendes Legato. Ian Storeys Tristan-Interpretation leidet darunter, dass seine Stimme im Piano- bis Mezzoforte- Bereich zu wenig tragfähig ist. Möglicherweise würde mehr Sensibilität des Dirigenten schon helfen.

Voll und ganz überzeugt hingegen Michelle Breedt als Brangäne, die auf klar fokussierter Linie singt. Alfred Muff hat mittlerweile vom Kurwenal zum Marke gewechselt. Eine Partie, die für ihn über weite Strecken zu tief zu liegen scheint, was er mit Sprechgesang zu kompensieren versucht. Mit seinem Nachfolger als Tristans Gefährte, Martin Gantner, hat das Opernhaus Zürich hingegen eine gute Wahl getroffen. Der Rollendebütant verfügt über heldischen Aplomb, ausreichend Volumen und hinterliess am Premierenabend auch den besten Eindruck hinsichtlich der Textverständlichkeit. Volker Vogel gibt einen spitzen Verräter Melot, und Javier Camarena als Seemann aus dem Hintergrund sowie Martin Zysset als randständiger Hirt lassen schliesslich aufhorchen.