Unerlöste Gefühle

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (12.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Tristan und Isolde im sozialen Kontext der Entstehungszeit: So präsentiert Claus Guth in Zürich Wagners, von Ingo Metzmacher dirigiertes Seelendrama.

«Tristan und Isolde» in Zürich, sozusagen an der Geburtsstätte im «Treibhaus der Gefühle», wo einst das Monumentalwerk Wagners seinen kreativen Anfang nahm. Ein besonderer Ort, an dem mit ausgesuchter Sorgsamkeit am Seelendrama mit gesteigertem musikalischen Ausdruck gewirkt wird – sollte man meinen.

Als Regisseur fungiert Claus Guth, bekannt für seine Art der sinnlich erfahrbaren Aufschlüsselung eines Werkes an konkretem Handlungsort. Was lag da näher, als nach der «Kronenhalle» in seiner Ariadne-Inszenierung nun auf die Villa Wesendonck zu setzen.

Ermüdend eindimensional

Wagners musikalisches Drama suggeriert Weite, Loslösung von der irdischen Welt, Konzentration auf die «innere Seelenbewegung», Claus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt pferchen die Handlung dagegen in eine miefige aristokratische Gründerzeitvilla, um «dieses Drama der unerlösten Gefühle gleichsam zu erden» (Programmheft). Eine auf den ersten Blick zündende Idee, psychologisch aufgepeppt mit gesellschaftlichem Agieren, aber ermüdend in ihrer Eindimensionalität.

Was ist Wirklichkeit, was ist Imagination, das ist das Zauberwort. Brangäne wird zum Alter ego Isoldes, gleiches Kostüm (zuweilen in Weiss und Schwarz), spiegelbildliche Gesten, den Liebes- und Todestrank bei der Übergabe verwechselnd. Das Aufeinanderprallen der Liebenden im 2. Aufzug findet im Dinner-Saal statt, umgeben von den in Abendrobe zu Wachsfiguren erstarrten aristokratischen Gästen: Isolde berührt die Hand ihres (Wachsfiguren-)Gatten, meint aber Tristan. Die «Nacht der Liebe» dann an einem die ganze Breite des Raumes einnehmenden Tisch, rechts Isolde, links Tristan, bis sie sich mitten darauf kunstvoll drapieren. Dort stirbt Tristan im 3. Aufzug, Opfergabe auf dem Altar des Bürgertums.

Metzmacher unter Hochdruck

Claus Guth entblösst und zerstört, ohne wirklich originell oder spannungserzeugend zu sein. Und so konzentriert man sich auf die Musik, auf die «im Sprachvers ausgedrückte Empfindung», auf die sinfonische Polyphonie, mit der Wagner ausdrückt, was nicht zu zeigen ist. Dirigiert Ingo Metzmacher am Anfang auch durchaus nuanciert, so wird er zunehmend plakativ und agiert dynamisch auf Hochdruck. Das Feinnervige, der Fluss, das farben- und motivreiche Gewebe der Musik bleibt zusehends auf der Strecke. Tiefpunkt waren die intonatorischen Trübungen von Orchester und Tristan in der «Alten Weise».

Ian Storey war sowieso der Schwachpunkt: Mit seiner metallischen, unschön timbrierten Stimme konzentrierte sich der Tenor auf die dramatischen Spitzentöne und quälte sich mit markierter Mittellage durch die Partie. Alfred Muff als Patriarch sang dafür nuancenreich und mit guter Diktion. Gleiches gilt für Martin Gantner bei seinem Kurwenal-Début. Schade, dass seine Stimme eine eindimensional kantige Färbung aufweist.

Biederes Ambiente

Ein hohes Timbre hat Michelle Breedt als Brangäne und nähert sich damit vokal an Isolde an. Was szenisch angelegt ist, raubt der Musik die Farben. Nina Stemme war die Königin, mit warmem, gutgeführtem Sopran, weitem Spannungsbogen von Lyrisch bis Hochdramatisch und nie flackernder Stimme beseelte sie einen Abend, der im biederen Gesellschaftsambiente baden ging.