Susanne Benda, Stuttgarter Nachrichten (12.12.2008)
Claus Guth inszeniert in Zürich "Tristan und Isolde"
Ups, was ist denn hier passiert? Im Parkett des Zürcher Opernhauses fehlen die ersten beiden Stuhlreihen. Dafür ist der Orchestergraben ein riesengroßes Loch und gesteckt voll mit Musikern. Die machen lautes, lärmendes Klang-Theater. Ingo Metzmacher dirigiert das Opernorchester Zürich so, als wolle er nicht das putzige Schweizer Haus mit seinen 1100 Plätzen, sondern die gut dreimal so große New Yorker Metropolitan Opera beschallen.
Tristan, Isolde und alles Liebesweh aus Wagners traurig-wunderschöner "Handlung in drei Aufzügen" fliegen einem förmlich um die Ohren - und dafür, dass dies nicht einmal besonders präzise wirkt, sorgen vor allem die Bläser.
Zu dem, was der Regisseur Claus Guth auf der von Christian Schmidt ausgestatteten Drehbühne inszeniert, will das überhaupt nicht passen. Denn hier findet kein Drama der großen Gesten und mächtigen Bilder statt, sondern ein intimes Kammerspiel, das von durchdachten Gesten und Bewegungen ebenso lebt wie von der Psychologie und Poesie der Beziehungen und Begegnungen.
Guth spielt mit Spiegelungen: Isolde spiegelt sich in Brangäne, ein Raum spiegelt sich im anderen - als gäbe es nicht nur den Todes- und Liebestrank als Alternativen, sondern immer zwei Möglichkeiten der Entscheidung, und als sei "Tristan und Isolde" am Ende nichts anderes als eine musiktheatralische Variante zum Film "Lola rennt", bei dem ja auch eine Handlung zurückgespult und ein anderes Ende ausprobiert wird. Guth spielt auch mit Bildzeichen: Da ist jene Nachttischlampe, die punktgenau zum berühmten "Tristan-Akkord" angeknipst wird, und da sitzen immer wieder Menschen an einen langen Tisch - wer genau hinschaut und mit einem Verweis auf die christliche Ikonografie rechnet, zählt zwölf Stühle; der dreizehnte lehnt umgestoßen daneben.
Der Rest ist feine Personenführung. Sie macht deutlich, dass die Liebe zwischen Tristan und Isolde eigentlich immer schon da war, aber erst an den Tag tritt, als der Mann seine Fehler eingesteht. Sie erklärt die Beziehungen zwischen Tristan und Marke, zwischen Marke und Isolde, und sie sorgt dafür, dass die Handlung immer perfekt in der Schwebe bleibt zwischen Realismus und Traumszenario. Dabei treibt die ständig rotierende Bühne die Personen unablässig durch die Szene - immer weiter, weiter, weiter.
Ganz nebenbei ist dem Regisseur dabei das Kunststück gelungen, sein Konzept-Theater als Ausstattungsoper zu verkleiden: Man sieht und genießt schöne Menschen in schönen Kostümen und Räumen des 19. Jahrhunderts - und merkt dabei kaum, dass auch hier eine Geschichte hinter der Geschichte erzählt wird. Auf subtile Weise flicht Claus Guth dem Stück die biografischen Bedingungen seiner Entstehung ein, verbindet es also mit Wagners Liebe zu Mathilde von Wesendonck. So wird aus "Tristan und Isolde" in Zürich auch ein Stück über verbotene, heimliche Liebe - besonders überzeugend dort, wo das Paar einander zwischen Menschengruppen begegnet, deren Bewegungen wie eingefroren wirken: starre Szenarien, Mondlandschaften der Gefühle, zwischen denen die Protagonisten umherirren wie Wesen von einem anderen Stern.
Das ist gutes Handwerk! Regietheater so zu verpacken, dass es anschließend einhellig bejubelt wird: Das muss einem Regisseur erst einmal gelingen.
Dabei erhielt Guth starke Hilfe vor allem von einer Sängerin: Nina Stemme, die zurzeit wohl weltbeste Sängerdarstellerin der Isolde, gab ihrer Rolle Fülle, kraftvollen Ausdruck und farbige Sinnlichkeit. Es ist ein Hochgenuss, diese Sopranistin zu hören und dabei keinen Ab- und Unfall fürchten zu müssen. Nur im zweiten Akt gelang es Ingo Metzmacher, die Sängerin mit der Lautstärke seines Orchesters zum Forcieren in der Höhe zu zwingen. Ian Storey gefiel als Tristan vor allem dort, wo er seine glänzende Höhe im Forte in Szene setzen konnte - in tieferen und weniger lauten Bereichen wirkte er blass. Alfred Muff sang einen spürbar leidenden Marke, Michelle Breedt eine höchst intensive Brangäne, und Martin Gantner gab einen quicklebendigen Kurwenal, der im dritten Aufzug vor dem blätternden Putz einer Gründerzeitvilla verzweifelt ein Bier nach dem anderen wegkippt.
Tristan stirbt schließlich auf jenem langen Tisch, auf dem er Isolde zuvor liebte. Marke und Brangäne schauen sich an. Mehr braucht es nicht. Die Geschichte wird weitergehen. Das Publikum jubelte.