Ein "Tristan" von Metzmacher und Guth in Zürich

Susanne Benda, Die Welt (12.12.2008)

Tristan und Isolde, 10.12.2008, Zürich

Im Parkett des Zürcher Opernhauses fehlen die ersten beiden Stuhlreihen. Dafür ist der riesige Orchestergraben gesteckt voll mit Musikern - lautes, lärmendes Klang-Theater. Ingo Metzmacher dirigiert das Opernorchester Zürich, als wolle er nicht das putzige Schweizer Haus mit seinen 1100 Plätzen, sondern die gut drei Mal so große New Yorker Metropolitan Opera beschallen. Tristan, Isolde und alles Liebesweh aus Wagners traurig-wunderschöner "Handlung in drei Aufzügen" fliegen einem förmlich um die Ohren - und dafür, dass dies nicht einmal besonders präzise wirkt, sorgen vor allem die Bläser.

Zu dem, was der Regisseur Claus Guth inszeniert, will das überhaupt nicht passen. Denn hier findet kein Drama der großen Gesten und mächtigen Bilder statt, sondern ein intimes Kammerspiel, das von durchdachten Gesten und Bewegungen ebenso lebt wie von der Psychologie und Poesie der Beziehungen und Begegnungen. Guth spielt mit Spiegelungen: Isolde spiegelt sich in Brangäne, ein Raum spiegelt sich im anderen - als gäbe es nicht nur den Todes- und Liebestrank als Alternativen, sondern immer zwei Möglichkeiten der Entscheidung.

Ganz nebenbei ist dem Regisseur das Kunststück gelungen, sein Konzept-Theater als Ausstattungsoper zu verkleiden: Man sieht und genießt schöne Menschen in schönen Kostümen und Räumen des 19. Jahrhunderts - und merkt dabei kaum, dass auch hier eine Geschichte hinter der Geschichte erzählt wird. Auf subtile Weise flicht Claus Guth dem Stück die biografischen Bedingungen seiner Entstehung ein, verbindet es also mit Wagners Liebe zu Mathilde von Wesendonck. So wird aus "Tristan und Isolde" in Zürich auch ein Stück über verbotene, heimliche Liebe.

Dabei erhielt Guth starke Hilfe vor allem von einer Sängerin: Nina Stemme, die zurzeit wohl weltbeste Sängerdarstellerin der Isolde, gab ihrer Rolle Fülle, kraftvollen Ausdruck und farbige Sinnlichkeit. Es ist ein Hochgenuss, diese Sopranistin zu hören und dabei keinen Ab- und Unfall fürchten zu müssen. Nur im zweiten Akt gelang es Ingo Metzmacher, die Sängerin mit der Lautstärke seines Orchesters zum Forcieren in der Höhe zu zwingen. Ian Storey gefiel als Tristan vor allem dort, wo er seine glänzende Höhe im Forte in Szene setzen konnte. Alfred Muff sang einen spürbar leidenden Marke, und Martin Gantner gab einen quicklebendigen Kurwenal, der im dritten Akt vor dem blätternden Putz einer Gründerzeitvilla verzweifelt ein Bier nach dem anderen wegkippt. Tristan stirbt schließlich auf jenem langen Tisch, auf dem er Isolde zuvor liebte. Marke und Brangäne schauen sich an. Die Geschichte geht weiter. Das Publikum jubelte.