Frank Gerber, Blick (22.12.2008)
Weihnachten und Rezession: Da hilft nur beschwingte Unterhaltung!
Ein voller Bauch studiert nicht gern. Drum sind die Festtage die ideale Zeit für lustiges und charmantes Musiktheater. Aber auch ein leerer Bauch studiert nicht gern: Drum feiert die leichte Muse immer in Krisenzeiten ihre grössten Erfolge. Nie gabs mehr Operetten als während der beiden Weltkriege oder in der grossen Depression der 1930er-Jahre.
So schlimm solls ja jetzt nicht werden. Aber als hätten die Spielplangestalter die Wirtschaftsflaute vorausgeahnt: Zurzeit werden wieder mehr Operetten gegeben. Am Wochenende sind zwei weitere dazugekommen.
Jacques Offenbachs «La Périchole» in Biel ist ein Feuerwerk an Einfällen. Die Handlung ist überdreht gaga, dafür die Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen umso giftiger. Ein Würstchen von einem Vizekönig denkt nur an die hübsche Strassenmusikantin und wie er sie in eine standesgemässe Geliebte verwandeln könnte. Das Stück enthält die schönste je komponierte Saufszene. Braut, Bräutigam, Notar: Alle müssen abgefüllt werden, damit sie «Ja» sagen. Und auch das Publikum bleibt nicht nüchtern. Jedenfalls sieht es plötzlich zwei Notare auf der Bühne...
Auch in Franz Lehárs «Lustiger Witwe» in St. Gallen wird gebechert. Der Kleinstaat Pontevedro steht vor dem Bankrott, aber die Beamten feiern die Feste, wie sie (meist ins fremde Bett) fallen. Doch dem Regisseur fällt nichts ein. Er lässt die Darsteller allein. So spielt WAM halt «Dinner for one» mit dem Stolpertick. Und der grosse Liebhaber Danilo bezirzt mit seiner Hansi-Hinterseer-Frisur höchstens die Schwiegermütter. Macht nichts: Musik und Kostüme sind wunderschön. Man kann eintauchen wie in ein warmes Schaumbad.
Biel beweist, dass Operette jung und intelligent sein kann. St. Gallen bedient alle älteren Leserbriefschreiber, die «endlich mal wieder etwas fürs Gemüt» fordern.