Zeitlose Erotik, Verführung und Liebeleien

Martin Preisser, Thurgauer Zeitung (22.12.2008)

Die lustige Witwe, 20.12.2008, St. Gallen

Die Inszenierung von Franz Lehárs «Lustiger Witwe» am Theater St. Gallen bietet nichts weniger als beste Unterhaltung.

Etwas Zwingendes fehle der Musik in Franz Lehárs «Lustiger Witwe», meinte der Libretto-Schreiber Victor Léon. Ein Urteil, das durch den Erfolg der wienerischsten der Wiener Operette völlig widerlegt wurde. Gerade die Eleganz und der Einfallsreichtum von Lehárs Musik schien auch in der neuen St. Galler Inszenierung besonders auf, nicht zuletzt dank einer sensiblen Verzahnung mit den Solisten, zu der Jeremy Carnall das Orchester anhielt. Lehár ist zeitlos. Die Offenheit, mit der er Erotik, Verführung, Untreue und Liebeleien zeigt, hat bis heute nichts an Anziehung verloren.

Und die Inszenierung von Hansjörg Hack trägt hierzu Entscheidendes bei. Die Dialoge sind etwas verkürzt. Überhaupt wirkt alles angenehm «gerafft» und auf das Wesentliche zentriert. Leicht absurd soll manches nach dem Wunsch des Regisseurs wirken. Das tut es und sogar mit dem leichten Einschlag, auf die Form der Operette selbst einen kleinen süffisanten Blick zu werfen.

Ein kleiner Rotlichttempel

Die Inszenierung ist frisch, entstaubt – wobei Lehár nie verstaubt war – und voller Drive und Leichtigkeit. Herrlich sind die Männer wie Fliegenschwärme hinter der Witwe her, herrlich sind die Ballszenen. Vor einer kräftigen Kulisse wird da alles keck geführt, auch mit dem Erfolg, dass bei so viel entspannten Bildern und Szenen die vielen Ohrwürmer der Solisten umso deutlicher zur Geltung kommen.

Hansjörg Hack erzählt die Geschichte um einen Fächer, die Geschichte von verschmähter und wieder aufflammender Liebe und die Geschichte um den Bankrott des Staates, der die Millionen der Witwe unbedingt braucht. Dabei bleibt die Inszenierung stringent, sodass aus der eigentlichen «Nichthandlung» dieser Operette ein packender Reigen von Witz, Gefühlen und allzu menschlichen Eigenschaften wird. Auf nichts weniger als echte Unterhaltung setzt die Regie mit kleinen, aber feinen Details. Die Choreografie (Götz Hellriegel) setzt die Tanzszenen zielsicher, mit dem Höhepunkt der Grisetten-Szene, die schon fast ein wenig an Fellini erinnert. Das Bühnenbild (Klaus Hellenstein) ist vor allem im zweiten und dritten Akt ein fesselnder, aber nie aufdringlicher Rahmen. Man lehnt sich zurück, wenn man diese sommerliche Freiterrasse sieht und den Pavillon, der genau dosiert immer wieder zum kleinen Rotlichttempel wird.

Angenehm betörende Präsenz

Wie kann man raffiniert betrügen? Das wird anspielungsreich, mit viel Bewegung und Keckheit gezeigt. Die Darsteller bewegen sich nicht nur gut geführt, sondern auch in wunderschönen Kostümen (Marion Steiner), in kunstvollen Unikaten, welche die Operette unterstreichen, aber doch einen «modischen» und eben nicht altbackenen Anstrich haben. «Was ist eine anständige Frau?»: darum kreist das Stück auch. Und man ist mit der Premierenbesetzung rundum zufrieden. Bodo Schwanbeck spielt den Baron, einen grummelnden Gütigen. Von strahlender gesanglicher Helle ist Evelyn Pollock als Valencienne. Angela Fout spielt die Witwe Hanna Glawari und punktet an der Premiere weniger mit forcierter Stimmkraft als mit einer angenehm betörenden Präsenz und viel lyrischer Ausstrahlung. Derek Taylor agiert als wendiger Tenor und Liebhaber Rosillon. Und stimmlich ein ganz besonderer Darsteller ist Paul Armin Edelmann als Graf Danilo, der sich mit runden, grossen, sonoren und klaren Arien an die erste Stelle der Hauptrollen sang.

Besondere Figur fällt auf

Zwischen einem gut disponierten Chor und allesamt quicklebendigen kleineren Rollen fällt die ganzen drei Akte eine besondere Figur auf: Walter Andreas Müller als Njegus. Der kleine Diener als Wiesel, schlau, witzig, unbeholfen, aber raffiniert. Dieser Schauspieler mischt mit herrlicher Präsenz das Operettengeschehen auf: Komik in seiner feinsten Form. Die St. Galler «Lustige Witwe» ist eine Operette, die jedes Vorurteil von verstaubt oder seicht kräftig widerlegt: schöne klare Bilder, gekonnt geführte Darsteller, Opulenz, die nie übertrieben wirkt, und natürlich die Fülle der herrlichen Lehár-Arien. «Lippen schweigen, s’flüstern Geigen» ist eine davon, die auch auf den gehaltvollen Wert der Musik an sich verweist. «Eine gelungene Unterhaltung, das ist schon eine ganze Menge», sagt der Regisseur dieser Inszenierung. Sie ist dieser «Lustigen Witwe» gesanglich, musikalisch, tänzerisch und bildlich einfach rundum gelungen.