Manischer Monumentalismus

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (13.01.2009)

Simon Boccanegra, 11.01.2009, Zürich

Opernhaus: Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Oper «Simon Boccanegra»

Oper fast wie aus Vorväters Zeiten: mit purpurnem Sonnenuntergang wie aus dem Ferienprospekt, mit händeringender Sängergestik und statischem Rampensingen. Dennoch: Dem Publikum gefiel es.

Ein Kassenschlager wie «Rigoletto» oder «Trovatore» ist «Simon Boccanegra» nie geworden, weder in der ersten noch in der zweiten Fassung. Die Oper sei «in Sünde geboren» worden, meinte Verdi, «und wir werden schwerlich Wasser finden, sie zu taufen». Mit sicherem Blick konstatierte er auch die Schwachstelle: «Dem Boccanegra fehlt es an Theatralik!» Immerhin, die zweite Fassung, die seither gespielt wird, hatte an der Uraufführung 1881 zumindest einen Achtungserfolg. Seither redet man gern von einer Oper für Kenner, zumal sie beim grossen Publikum nach wie vor selten auf grosse Resonanz stösst.

Kein Zweifel, dem Werk fehlt es an Theatralik, vor allem in den beiden letzten Akten. Aber muss es auf der Bühne wirklich derart untheatralisch zugehen wie in Giancarlo del Monacos Neuinszenierung am Zürcher Opernhaus? Da treten Leute auf und treten Leute ab. Wer singt, steht meistens frontal zum Publikum, und wenn es einmal ganz, ganz ernst wird, dann knien sie sich schwer auf den Boden oder setzen sich auf marmorne Stufen. Und gibt man - in der grossen Ratssaal-Szene am Schluss des ersten Aktes - den Choristen Schwerter in die Hand, mit denen sie aufeinander losgehen sollen, ja, dann kippt die Unbeholfenheit dieser szenischen Realisierung ins Ridiküle.

Monumentalismus

Nicht ganz unschuldig daran dürften die Bühnenbilder von Carlo Centolavigna sein. Gigantomanischer Monumentalismus gibt hier den Ton an, jener architektonische Neoklassizismus, den man aus Mussolinis Italien oder von den Machtbauten ehemals sowjetischer Staaten her kennt. Sogar Auguste Rodins «Höllentor» wurde in wochenlanger Arbeit in Kopie hergestellt, als Eingangstür zum Palast der Fieschi. Man fragt sich nur: Wozu der Aufwand? Mächtige Säulen, architektonisches Zitat einer einst lebensstarken Antike, begrenzen seitlich die Bühne.

Im Hintergrund prangt entweder mächtig das Sockelfries des Monumento Vittorio Emmanuele oder eine noch mächtigere Statue, ein nackter Mann mit prallen Backen, der in den Hintergrund blickt und aufs blaue Meer zeigt. Darüber ziehen am ebenso blauen Himmel weisse Wolken in einer Geschwindigkeit vorbei, als sässe man im Flugzeug. Und einmal geht sogar die Sonne unter, ein roter Feuerball, der langsam ins Meer versinkt wie weiland auf unseren ersten Ferienfarbfilmen. Das ist Realismus pur, und er hat starkes Gewicht, vielleicht ein ungutes Übergewicht in dieser Aufführung. Denn auf der schauspielerisch-theatralischen Ebene findet nichts Adäquates statt.

Rollenbesetzungen

Zuweilen tun einem die Sänger fast leid. Isabel Rey, eine hochvirtuose Singschauspielerin, erging sich an der Premiere in abgegriffener Operngestik, bewegte ihre Hände statt unser Herz. Leider stand ihr Rollendebüt als Amelia auch vokal unter keinem glücklichen Stern. Ihr Soprantimbre hat Kratzer abbekommen; unstet klang ihre Mittellage und schmerzlich scharf ihre Höhe. «Eine junge, bescheidene, stille, dünne, zarte Dame», wie sie Verdi für die Amelia wollte, ist sie sicher nicht.

Fabio Sartori gelang es, die etwas undankbare Partie des Gabriele aus ihrem Schattendasein herauszuholen, indem er mit draufgängerischem Impetus und einem betörend vollmundigen Wohllaut seine tenoralen Phrasen spann. Schauspielerisch indes passierte auch da kaum Bemerkenswertes - und ebenso wenig bei Roberto Scandiuzzi, der demnächst seinen vierhundertsten Fiesco singt und vor allem durch den weichen Wohlklang seines Basses beeindruckt. Massimo Cavalletti indes gab ein perfektes Rollendebüt als Paolo, den er mit markig-baritonalen Untertönen gestaltete, die bereits auf Jago (in «Otello», Verdis nächster Oper) hinwiesen - ein imposanter Gegenspieler Boccanegras. Diesen sang und gestaltete Leo Nucci, auch nach vierzig Bühnenjahren unverwüstlich und voller Energie. Um seine vokalen Ressourcen wie auch um seine Bühnenpräsenz müsste ihn manch Jüngerer beneiden.

Carlo Rizzi dirigierte umsichtig und brachte die kraftvolle Dramatik wie auch die Düsternis dieser Partitur effektvoll zur Geltung. Chor und Orchester der Oper Zürich setzten sich nach Kräften ein, wobei der Gesamtklang bei aller dramatischen Verve dennoch durchhörbar blieb und immer wieder, vor allem in den «neuen», nachkomponierten Passagen, eine besonders aparte, melancholisch resignative Farbe aufwies. Grosser Beifall zum Schluss, wie gesagt.