Plastikrömer vor dem Kolosseum

Tobias Gerosa, Der Bund (13.01.2009)

Simon Boccanegra, 11.01.2009, Zürich

Oper aus dem Museum: Die Inszenierung «Simon Boccanegra» am Opernhaus Zürich

Sooft Verdi auf dem Spielplan steht, so selten waren die Resultate überzeugend. «Simon Boccanegra» von Regisseur Giancarlo Del Monaco und Dirigent Carlo Rizzi gehört zu den Inszenierungen, die sich allein auf Musik und Sänger verlassen. Doch so gut sind hier auch die nicht.

In Rom vor dem Kolosseum stehen noch heute Legionäre. Die Rüstungen sind mittlerweile zwar aus Plastik, aber geben doch vor, authentisch zu sein. Ähnlich wie die Touristen in Rom kommt man sich in der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis «Simon Boccanegra» am Zürcher Opernhaus vor. Aber anders als bei den Souvenir-Legionären gibt man auf der Opernhausbühne vor, ein bisschen echtes Mittelalter und echtes Italien zu spielen.

Spielplandramaturgie heisst in Zürich offenbar, dass zwischen zwei avancierten Regisseuren eine szenische Beruhigungsphase eingeschaltet werden muss. Verdis düsterste, lange verkannte Oper um den Genoveser Dogen Boccanegra, der Stadtpolitik und Familienfehde unter einen Hut bringen muss, ist dafür keine gute Wahl.

Nachgebildetes Höllentor

In Hunderten von Arbeitsstunden haben die Theaterwerkstätten eine originalgetreue Nachbildung von Auguste Rodins «Höllentor» (wie es am Zürcher Kunsthaus steht) für den Prolog gebaut, ein übermannsgrosses Relief vom Römer Monument für Vittorio Emanuele I und eine «Übermenschenskulptur» vom faschistischen Foro Italico, das ursprünglich Foro Mussolini hiess, für den dritten Akt. Carlo Centolavignas Bühnenbilder mit ihrer trotz (computeranimierter) Meersicht kalten Ästhetik suggerieren eine Art Zeitreise. Die mittelalterlichen Kostüme von Maria Filippi (der historische Simon Boccanegra lebte im 14. Jahrhundert), deren Strumpfhosen und Pagenfrisurperücken an Robin-Hood-Verfilmungen denken lassen, unterlaufen das aber sofort. Und die Regie ihrerseits schlägt sich weder auf die eine noch die andere Seite, sondern arrangiert ambitionslos durch, wie man es halt so kennt. Warum Rodin? Warum Höllentor? Warum faschistischer Prunk? Blosses Dekor. Die Logik der Rampe siegt über die Logik der Handlung oder des Textes, von Subtexten ganz zu schweigen.

Für einen Kampf kreuzt man ein-, zweimal die Schwerter. Zum Singen aber stellt oder noch besser kniet man sich ganz schnell wieder frontal zur Rampe, wo man abwechselnd Schwert oder Faust schüttelt. Die Choristen (diesmal zwar mit einer kleineren musikalischen Aufgabe, die aber auffallend kompakt und dynamisch differenziert erledigt wird) haben sich malerisch auf der Seite zu drapieren. Schliesslich können sich die Chorherren im Prolog auf leerer Bühne auch ganz allein hinter sich selber verstecken. Den Giftbecher zelebriert Boccanegra, als wüsste er spätestens seit der Hauptprobe, dass sein Konkurrent ihn damit umbringen wird. Diese Komik ist unfreiwillig.

Mit betörender Schönheit

Das Musikalische kann solches nicht retten, Oper entsteht erst im Zusammenspiel. Carlo Rizzi leitet das Opernhausorchester mit Italianità und bisweilen betörender Schönheit. Dass Verdis Musik gerade in der Ratsszene auch eminent dramaturgisch funktioniert, ist kaum zu hören. Dafür fällt die Heterogenität des Ensembles auf.

Der schön timbrierte, aber mehr stämmige als elegante Tenor Fabio Sartoris (Gabriele Adorno) droht Isabel Reys sehr gut fokussierten, aber lyrisch-kleinen Sopran (in der Rolle der Amelia) mehrfach zu erdrücken. Wo bei ihm jedes Piano hart erkämpft scheint, müht sie sich bei lauten Stellen ab und droht dann säuerlich zu klingen. Roberto Scandiuzzi als ihr unerkannter Grossvater Fiesco verlässt sich einmal mehr darauf, dass sein eindrücklich satter und dunkler Bass für sich spreche, und entwickelt auch kaum eine Figur.

Bleiben als Pluspunkte die Baritone Massimo Cavalletti als Paolo und Leo Nucci in der Titelpartie. Cavalletti gefällt mit kernigem Timbre und Kraft und vermag den Hass und die Gefährlichkeit des Intriganten glaubhaft zu machen. Nucci hingegen überzeugt durch seine stilsichere Phrasierung, während die oft angeschliffenen Töne so stören wie die stereotypen Gesten und Blicke.

Bei der Premiere am Sonntag waren ziemlich viele Sitze frei geblieben. Sosehr man sich gerade als Kritiker volle Häuser wünscht: Hier ists verständlich.