Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (13.01.2009)
Am Opernhaus Zürich wird Giuseppe Verdis selten gespielter «Simon Boccanegra» schon wieder neu inszeniert. Warum, bleibt einmal mehr ein Rätsel.
Ein Operndirektor, der Giuseppe Verdis «Simon Boccanegra» auf den Spielplan setzt, hat das Opernherz auf dem rechten Fleck. Zu oft haben die Intendanten Angst, dass sie es nicht schaffen, für dieses verkannte Meisterwerk passende Sänger zu finden. Und kaufen sich die Intendanten diese fünf grossen Sänger für viel Geld dennoch zusammen, müssen sie mit der Tatsache leben, dass die breite Opernmasse lieber zu «Traviata» und «Rigoletto» kommt. Da können Opernschwärmer noch so lang erzählen, dass in «Simon Boccanegra» der süsse Duft einer «Traviata» sowieso weht, aber darin auch die kalten, rohen Abgründe des «Otellos» lauern.
Die grosse Kunst ist es, musikalisch einen Mittelweg zu finden und die schwierigen Handlungsstränge auszudeuten - erst dann wird «Simon Boccanegra» aus seinem tristen Nichdasein zu heben sein. Versuche gibt es immer wieder. In Zürich wurde das Werk vor gerade mal dreizehn Jahren neu inszeniert. Die Geschichte um Macht und Liebe wurde von Marco Arturo Marelli in klischierten dunklen Bildern klassisch-korrekt erzählt, die musikalische Umsetzung blieb etwas blass. Dass das Werk nun schon wieder neu angesetzt wurde, wollten wir als Zeichen deuten, dass die damalige Inszenierung nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein konnte. Es blieb bei der Hoffnung.
Anstelle der dunklen, engen Hallen gibt es jetzt Säle mit Weitsicht zu betrachten: Immer wieder schmeichelt der offene Blick aufs Meer den Augen - vorüberziehende Wölklein, einmal gar eine Sonne, die in Sekundenschnelle ins Wasser sinkt. Dazu rasseln die Schwerter. Kurz: Die neue Inszenierung von Giancarlo del Monaco ist blass wie die alte. Allerdings hat diese böse Aussage einen grossen Haken, ja, in ihr liegt ein nicht zu lösender Widerspruch: Titelheld Leo Nucci kann seine Kunst nur in einer solchen Inszenierung ausleben. Um diese Kunst noch einmal zu bewundern, lohnt es den Gang ins Opernhaus zu machen.
Der bald 67-jährige Bariton vermag auf eine zwar altmodische, aber noch längst nicht altväterliche Art, die Rolle auszufüllen. Derweil alle anderen Protagonisten nur der Spur nach grosse Worte sagen, baut er einen Kosmos auf: Jede Bewegung, jede Regung, jede Silbe, jede Linie ist mit Spannung gefüllt › und alles ist bei ihm zutiefst durchdacht. So entsteht ein ehrliches Porträt voller erhabenem Pathos. Mit Opernklischees hat das nichts zu tun - die zeigen viel eher die Jungen. Und das ist nur schwer zu ertragen, denn der vermeintlich unglaubliche Plot wird in einer so realistischen Inszenierung mit nur leicht distanzierten Interpreten unglaubhaft.
Da mag Fabio Sartori die Rolle Gabriele Adornos noch so prächtig singen; da kann Roberto Scandiuzzi die Worte Fiescos noch so mächtig schleudern; da geht der junge Bariton Massimo Cavaletti (Paolo) fast unter, obwohl seine edle Art des Gesangs die Entdeckung des Abends ist. Isabel Rey (Amelia) ist nicht nur szenisch, sondern wegen der stimmlichen Eigenwilligkeiten auch musikalisch ein Fremdkörper. Das Quartett käme besser zur Geltung, würde es aus dem Graben eine eloquentere klangliche Unterstützung bekommen. Schönheiten - exquisite Klänge! -, die gibt es von dort zuhauf, denn Carlo Rizzi entlockt dem Orchester köstliche Feinheiten. Aber Rizzi durchzieht die ganze Oper damit, gestaltet alles sehr weich, obwohl es da im Innern mächtig grollt.
Da szenisch und musikalisch allein Leo Nucci die Abgründe glaubhaft machen kann, bleibt zum Schluss ein fahler Nachgeschmack. Denn um Nuccis Kunst zu geniessen, braucht es den Glauben an die Kraft einer alten Oper. Der Intendant hat ihn nicht verloren. Sonst müsste er «Simon Boccanegra» von Grund auf anders angehen.