Herrschaftsglanz und Höllentor

Herbert Büttiker, Der Landbote (13.01.2009)

Simon Boccanegra, 11.01.2009, Zürich

Bedeutung und Bekanntheit von Verdis «Simon Boccanegra» klaffen noch immer auseinander. Im Opernhaus Zürich hinterlässt eine Neuinszenierung einen zwiespältigen Eindruck.

Heller Marmor, Kolonnaden, monumentale Architektur und Kunst vor dem Hintergrund des glänzenden Meeres und ziehender Wolken: Für das düstere Macht- und Intrigenstück im alten Genua, wo Patrizier und Plebejer um die Macht kämpfen, präsentiert sich die Zürcher Opernbühne zunächst überraschend glanzvoll. Der Bühnenbildner Carlo Centovigna reizte mit seinen Visionen einer kühlen Prachtentfaltung der Herrschaft die Möglichkeiten der Werkstätten bis zur Neige aus. Umbauten für die fünf Bilder, die sich jeweils mit einer effektvollen Variation des einen Raumkonzepts präsentieren, zeigen Nachbildungen faschistischer, der Antike nachempfundener Kunst, kolossale Figuren, Friese und – für den Prolog – zuerst eine besonders aufwendige Nachbildung von Auguste Rodins bronzenem «Höllentor».

Das alles ist wunderbar gemacht, und Maria Filippis schöne, sich an der Renaissance orientierende Kostüme kommen in der grandiosen und vom Licht weich modellierten Szenerie malerisch zur Geltung. Von Szene zu Szene ist der Meereshorizont dominanter im Bild – der Metaphorik des Dramas und Verdis Musik ganz gemäss, die Wellenspiel, Meeresbrise und Blick ins Endlose mit impressionistischem Zauber Klang werden lässt.

Bestechend ist die Idee, Rodins Opus magnum zur «Divina Commedia», die ja ein Kompendium des Lebens ist, ins Spiel zu bringen. Für die beiden grossen Kontrahenten des Stücks markiert das Tor die Begegnung mit dem Tod jener Gestalt, die ihr weiteres Handeln bestimmt. Aufgebahrt im Innern des Palasts liegt Maria, die Tochtes Jacopo Fiescos, die Geliebte Simon Boccanegras und Mutter des Kindes, das unerkannt als junge Frau in den folgenden drei Akten die einzige weibliche Stimme im Drama ist.

Amelia wird als Sopran der lichtvolle Mittelpunkt der in die Politik und unerlöste Sehnsüchte verstrickten Männer sein: wieder Fiesco, der Bass, wieder Boccanegra, der Bariton, und – natürlich, möchte man sagen – auch ein Tenor: Gabriele Adorno. Das Geschehen mag im Einzelnen dann kompliziert sein, der grosse Bogen der Handlung aber ist tiefgründig klar. «Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet» steht mit Dante jetzt imaginär über dem Beginn der Oper, «alle Freude ist nur trügerischer Zauber, das menschliche Herz eine Quelle endloser Tränen» lautet das gesungene Fazit im Finale. Dieses klingt zwar versöhnlich – der Dämon der Intrige (Paolo Albiani) auf dem Schafott, die politischen Gegner vereint, die Familienbande geknüpft –, aber im Zeichen des Todes, denn der Doge, der Garant des Friedens, stirbt.

Statische Inszenierung

Auch der Premierenabend ging in diesem Finale berührend auf, so problematisch sich die Aufführung zuvor in mancher Hinsicht entwickelt hatte. Da blieb musikalisch, stimmlich zu viel im Argen oder Mittelmässigen, als dass wirkliche Begeisterung aufgekommen wäre. Leo Nuccis Bariton, der für jeden grösseren Intervallschritt in die Höhe die breite Portamentotreppe nimmt, gab der Figur des Boccanegra gewiss auch ergreifende Momente, aber manches blieb blass, und auch der Regisseur Giancarlo del Monaco tat nichts, um ihm zum Beispiel in der Ratsszene vitale Statur zu geben, wie überhaupt seine Inszenierung in Bild und Kostüm wenig lebendige Bewegung entfaltete. Bei Roberto Scandiuzzis Fiesco kamen rhythmische Unstimmigkeiten ins Spiel, bei Isabel Rey verwischte viel strapaziertes Timbre die Linie, und es blieb dem Tenor Fabio Sartori vorbehalten, mit plastisch artikulierter Linie, im Detail vielleicht nicht sehr nuanciert, dramatische Intensität zu entfalten. Vielleicht hätte auch das Dirigat mit mehr Stringenz den Protagonisten zu grösserer dramatischer Brisanz in den Duettszenen verhelfen müssen. Alle dramatische Wucht erreichte das Orchester im grossen Tableau, mit dem schlagfertigen Chor und profilierten Nebenfiguren (Massimo Cavalletti als Paolo).

Das Orchester spricht in diesem Werk, das teils zu Verdis mittlerer Schaffenszeit (1857), teils nach einer gründlichen Umarbeitung zum Spätwerk (1881) gehört, ja entscheidend mit durch die Psychologie kühner Motivik und heftiger dunkler Klangfarben. Das zeigte die Aufführung unter der Leitung von Carlo Rizzi stärker in klangschön und sorgfältig gestalteten Momenten – zur musikalischen Besonderheit des «Simon Boccanegra» zählen die unvergleichlichen orchestralen Vor- und Nachspiele – als durch innere Spannung und dramatischen Bogen.