Die Figuren bleiben allein im aufwändigen Dekor

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (13.01.2009)

Simon Boccanegra, 11.01.2009, Zürich

Giuseppe Verdis Oper «Simon Boccanegra» ist ein historisches Drama, das im Zürcher Opernhaus vor allem durch seinen Hauptdarsteller lebt.

Beim Schlussapplaus machte Regisseur Giancarlo del Monaco einen kurzen Kniefall vor seinem Hauptdarsteller Leo Nucci, und das wirkte, wie immer es gemeint war, symptomatisch für diese Neuproduktion von Giuseppe Verdis «Simon Boccanegra» (in der zweiten Fassung von 1881). Gerade diesem Sänger hatte die Regie zu verdanken, dass der Abend allmählich starke dramatische Konturen erhielt, dieses Drama um den Genueser Dogen Simon Boccanegra, der sich nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner nach langen Jahren wiedergefundenen Tochter Maria (alias Amelia) von einem harten Tyrannen zu einem verzeihenden Herrscher wandelt.

Entscheidend für diese Entwicklung war bei der Premiere am Sonntag der Moment, als Nucci im Finale des 1. Akts mit einer harten Geste, die keinen Widerspruch duldete, dem intriganten Paolo befahl, den Entführer Marias, das heisst sich selbst, zu verfluchen. Da erhielt das Drama darstellerische Brisanz, da wurde etwas zwischen den Menschen spürbar, das die Klischees überstieg. Ohne Firlefanz. Und es deutete an, wie sehr die Darsteller bei del Monaco doch einmal mehr auf sich und ihre eigene Gestaltungskraft angewiesen waren.

Unbeholfene Kampfszenen

Die Personenführung ist die Crux vieler Opernaufführungen. Hier ist sie vor allem in den Szenen zuvor wenig prägnant, erreicht sie kaum gestalterische Tiefe, ja sie streift das Lächerliche. Jedenfalls sollte man es den Darstellern, selbst wo es das Libretto vorschreibt, verbieten, mit Männlichkeits-Ersatzteilen wie Schwertern oder Messern zu hantieren.

Wie schon in jener horriblen Schlachtszene in Riccardo Zandonais «Francesca da Rimini», den del Monaco vor zwei Jahren inszenierte, sind solche angedeuteten Kampfszenen von einer Unbeholfenheit sondergleichen. So ist es fast am besten, wenn sich die Aktion verlangsamt und die Menschen einander umkreisen. Da erhalten die Darsteller in diesen weiten Räumen eine Chance.

Das Dekor ist grossflächig angelegt und aufwendig, das für den Prolog originalgetreu kopierte Höllentor Auguste Rodins wirkt eindrücklich in seiner Schwärze. Die hohen, teilweise etwas aufdringlichen faschistoiden Räume, die Carlo Centolavigna dazu in Anlehnung an historische Vorbilder des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts entworfen hat, öffnen sich allmählich durch die drei Akte hindurch, bis sie den Blick aufs Meer fast ganz freigeben.

Zu diesem Meer hin - il mare - wird sich zum Schluss der Korsar Boccanegra sterbend wenden, gleichsam eingedenk des hübschen und einst viel verwendeten Wortspiels in Erinnerung an seine einstige Geliebte Maria. Das ist sehr illustrativ. Del Monacos Inszenierungen hatten immer etwas von Design. Eher uninspiriert wirken daneben die historisierenden Kostüme von Maria Filippi.

Schlagkräftiger Chor

Diese Bühne liesse Raum für Bewegung und Spannungen. Der Prolog, der die Vorgeschichte erzählt, vermag nichts davon aufzubauen. Der Sprung über 25 Jahre hinweg zum 1. Akt und zum eigentlichen Drama wirkt zunächst kaum glaubhaft; zu wenig haben sich die Darsteller äusserlich verändert, aber allmählich entfaltet sich doch ein sehens- und hörenswertes Musikdrama. Am Schluss sind wir sogar halbwegs versöhnt mit der Regie - was auch an der musikalischen Energie liegt, denn der Chor (einstudiert von Jürg Hämmerli) hat sein Schlagkräftigstes gegeben, und das Orchester der Oper unter Leitung von Carlo Rizzi steigert sich zunehmend. In den lauten Passagen treibt es die Handlung an, da findet es ohnehin zu den stärksten Momenten. Rizzi, ein gewiefter Sängerbegleiter, beweglich in den Tempi, trägt das Ensemble.

Dennoch: Die vollumfängliche Rehabilitierung des neben anderen Verdi-Opern immer etwas vernachlässigten Werks gelingt musikalisch nicht. Was für ein Nervenkostüm müsste doch diese Musik bilden! Was für Details liessen sich da nicht noch herausarbeiten! Die Interpretation legt zu wenig Wert aufs Sensitive und Untergründige, um uns eine neue Sicht der Partitur zu zeigen.

Bejubelt wurden vor allem die Sänger. Mit hohen Erwartungen ging sicherlich Isabel Rey in dieses Rollendebüt, aber als Boccanegras Tochter Maria/Amelia überzeugt diese beliebte Mozart-Interpretin noch nicht voll. So anrührend sie singt und spielt - in den leisen Passagen, gerade zu Beginn ihres ersten Auftritts, klingt ihre Stimme zu blass und gegenüber dem nicht allzu lauten Orchester wenig durchsetzungsfähig.

Dunkel ist die Farbe des Stücks

Auf den Höhepunkten muss sie gar forcieren, und ihr Timbre passt auch kaum zu dem so selbstverständlich und frei strömenden Tenor von Fabio Sartori, der ihren Geliebten Gabriele Adorno vokal erstrahlen lässt. Der Schwärze des politischen Dramas entspricht ein Gewicht in den tiefen Lagen: Paolo mit dem agilen Massimo Cavalletti ist ein wahrer Intrigant. Sicher gestaltet Roberto Scandiuzzi Simones Widersacher Jacopo Fiesco, immerhin sang er die Rolle bei dieser Premiere zum vierhundertsten Mal! Dunkel ist die Farbe des Stücks - trotz des hellen Bühnenbilds. Und im Zentrum steht eben Leo Nucci.

Es wird zunehmend sein Abend. Fabelhaft, wie er diese Partie verinnerlicht hat, wie er feine Nuancen dieses zwischen Unbarmherzigkeit und Milde schwankenden Herrschers hervorhebt, wie ausdrucksvoll er die Melodiebögen gestaltet und doch den Dialog nicht vernachlässigt. Seinetwegen vor allem lohnt sich der Besuch dieses Dramas. Von da her war ein Kniefall schon angebracht.