Schwacher Hochdruck im Tiefland

Christian Berzins, Aargauer Zeitung (03.07.2006)

Tiefland, 01.07.2006, Zürich

Zürcher Festspiele: Schauspielhaus-Chef Matthias Hartmann inszeniert am Opernhaus wenig überzeugend Eugen d’Alberts «Tiefland», die Sänger sind erstklassig.

In Glasgow 1864 geboren, in Riga 1932 gestorben, in Morcote begraben: Eugen d’Albert war nicht nur während seines Lebens, nein, sogar nach seinem Tod noch unterwegs. Ein einziges seiner 21 Bühnenwerke, «Tiefland», konnte sich im Repertoire halten und macht nun Halt in Zürich. Heute ist «Tiefland» nicht mehr als eine «interessante Rarität» - wie so vieles am Opernhaus Zürich, das kurz auf den Spielplan kommt, teuer produziert wird und bald für (fast) immer verschwindet.

Doch wir greifen vor: Auf dem Papier war ein spannender Abend zu erwarten, auch darum, weil Matthias Hartmann inszenierte. Hartmann will mehr aus dem Stoff holen, als drin ist. Er setzt der einfachen Geschichte um einen Schafhirten, dem im Tal bös mitgespielt wird, eine komplizierte, konstruierte Rahmenhandlung auf.

Pedro entstammt bei Hartmann einem Versuchslabor, wo man sich Menschentypen aussuchen und in die Welt aussetzen kann. Gutsherr Sebastiano braucht einen einfachen Mann, der seine Geliebte Marta (schein-)heiratet, damit er selbst - befreit vom Dorfgeschwätz - eine reiche Frau ehelichen kann. Marta soll aber seine Geliebte bleiben. Pedro spielt nicht mit, bringt Sebastiano um und zieht mit Marta zurück in die Berge. Menschenversuch misslungen? Man würde meinen, ja, doch Professor Jekyll alias Tommaso (sehr innig gesungen von Laszlo Polgar) setzt folgerichtig das Objekt Pedro erneut in seinen Käfig. Nun ist aber auch Marta dabei. Es kommt zum finalen Hollywood-Leinwand-Kuss, und die Liebe bezwingt die Wissenschaft.

Zu Tränen rührt das nicht, denn die Videowand (Sven Ortel) ist einmal mehr weder ästhetischer noch intellektueller Gewinn. Die meiste Zeit spielt sich die Handlung in einem 30er-Jahre-Mühle-Kontor (Bühne: Volker Hintermeier) ab. Im grossen Rund kommen die Figuren nicht vom Fleck. Zu viel ist nur Schnickschnack. Erst als Hartmann mit Ironie den Schicksalsschlägen antwortet, nimmt man aus dem Geschehen etwas mit.

Im Gegensatz zur szenischen Umsetzung ist der Abend musikalisch gelungen. Selbst Nebenrollen sind bestens besetzt: Eva Liebau etwa macht mit ihrem so zarten Sopran aus der lieben Nuri geradezu einen Engel. Das Protagonisten-Trio ist Weltklasse: Matthias Goernes (Sebastiano) Spiel verschwindet unter dem Bärenmantel, aber sein Bariton klingt bald umso bedrohlicher, bald schmeichelt er damit zärtlich. Der szenisch ungelenke Peter Seiffert hat keine Mühe, Pedros Gefühlsausbrüche im Fortissimo zu singen, kann aber auch in einem unglaublichen Mezzavoce, also mit halber, klingender Stimme, erzählen. Petra Maria Schnitzer (Marta) übertüncht eine etwas einseitige Farbgebung mit ungeheuerlicher Leidenschaft.

Dirigent Franz Welser-Möst lädt diese Starkstrom-Leidenschaft nicht noch mehr auf, sondern will sanft beweisen, wie viel in dieser Musik drin ist. Doch Alberts ausgehorchte Lyrismen langweilen bald, seine Ausbrüche sind stereotyp. Weil auf der Bühne nichts Konträres gezeigt wird, ist bald einmal jede Wendung, musikalisch wie szenisch, im Voraus durchschaubar. Eugen d’Albert wird wohl wieder reisen müssen.