Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (20.01.2009)
Wagners «Fliegender Holländer» im Theater Basel
Richard Wagners «Fliegender Holländer» nicht aus der Perspektive des rastlos über die Meere segelnden, erlösungsuchenden Titelhelden zu erzählen, sondern aus jener der Frau, die sich für ihn opfert, ist kein neuer Interpretationsansatz. Claus Guth hat ihn in seiner Bayreuther Inszenierung von 2003 mit ebenso viel psychologischem wie ästhetischem Sensorium fruchtbar gemacht. Das Grundmuster jener Aufführung glaubt man in Philipp Stölzls Basler «Holländer» wiederzuerkennen: Das Kind Senta, das sich in grossbürgerlichem Gründerzeit-Milieu aus der Lektüre der Holländer-Geschichte seine Traumwelt erdichtet und Opfer einer von Besitzdenken geprägten patriarchalischen Gesellschaftsordnung wird.
Stölzl geht dabei jedoch weit radikaler vor als Guth. Albtraumhaft ist schon der riesige Bibliotheksraum, in dem das Kind zu Beginn die Chronik mit der Holländer-Sage liest. Nachdem das Mädchen über der Lektüre eingeschlummert ist, entwickelt sich das Geschehen kontinuierlich auf zwei Ebenen (die Technik des Basler Theaters leistet dabei einmal mehr Wunderdinge). Aus dem monumentalen romantischen Seestück auf der Rückwand wird eine reale Szenerie mit schauerlichem Geisterschiff – für Gruseleffekte beweist der zurzeit mit «Nordwand» in den Kinos präsente Filmer Stölzl, der zusammen mit Conrad Reinhardt auch für das Bühnenbild zeichnet, durchaus Sinn. Der Bräutigam, den Daland (mit imposantem Bass: Liang Li) bei seiner Heimkehr der inzwischen ins Riesenhafte gewachsenen Tochter präsentiert, ist dann allerdings ein ganz anderer als der unheimliche Seefahrer des ersten Aktes: ein alter, stumm seine Zigarre paffender Mann, offensichtlich ein gut situierter Geschäftspartner des Vaters.
Von da an gerät die Opernhandlung immer mehr zur psychologischen Fallstudie. Flucht in eine Gegenwirklichkeit, Bewusstseinsspaltung, Hysterie, Selbstverletzung bis zur Selbstzerstörung: Das ist das Krankheitsbild, das uns der Regisseur mit seiner faszinierenden Protagonistin Kirsi Tiihonen entgegenhält. Nicht alles wird dabei plausibel (das gehört wohl mit zur intendierten Spukhaftigkeit), der Hang zur Verbildlichung wirkt gelegentlich obsessiv – selbst Eriks Traumerzählung spielt sich realiter ab, obwohl der von Senta verlassene Liebhaber (stimmlich nuanciert: Thomas Piffka) in diesem Regiekonzept eigentlich gar keinen Platz hat. Spannend ist der Abend allemal, nicht zuletzt, weil er von exzellenten Sänger-Darstellern getragen wird. Allerdings kämen der kraftvolle Bariton von Alfred Walker (Holländer) und der helle Sopran von Kirsi Tiihonen wohl wesentlich schöner zur Entfaltung, wenn sie dynamisch differenzierter eingesetzt würden. Doch dazu müsste auch der Dirigent Friedemann Layer mit einer kontrollierteren Orchesterbegleitung Hand bieten.