Ein Wagner-Held mit Hakenhand

Herbert Büttiker, Der Landbote (20.01.2009)

Der fliegende Holländer, 18.01.2009, Basel

Filmisch opulent, erhellend und musikalisch stark präsentiert sich am Theater Basel Wagners «Fliegender Holländer». In den Jubel nach der Premiere wollte der Regisseur Philipp Stölzl – zu Recht – die Werkstätten eingeschlossen haben.

Eine «Nordwand» für die Meeresszenerie musste der Regisseur des Kino-Dramas am Eiger auch auf der Opernbühne haben. Ein riesiges Sturmgemälde überzieht die Wand des Salons und Bibliothekraums. Es wird zum Schauplatz der spukhaften Erscheinung des untoten Holländers und seiner gespenstischen Mannschaft. Was Wagners Musik an elementarer Natur evoziert, bekommt hier seine malerische Entsprechung zwischen Caspar-David-Friedrich-Zitaten und Trivialromantik. Die Fantasiewelt, die sich im Bilderrahmen als Bühne auf der Bühne auftut, greift dabei nicht nur in die Epoche der Werkentstehung zurück, sondern bedient sich sachlich beim Fantasy-Kino der Gegenwart.

Dass die grausliche Camouflage der Piratenfilme in die Wagner-Oper einzieht und der Holländer mit Hakenhand auftritt, ist aber mehr als nur eine zeitgemässe Reverenz an den Effektdramatiker, der Wagner ja auch war, sondern ist mit Stölzls Deutung des Stücks tiefer verbunden. Auch seine Inszenierung erzählt die Geschichte aus der Sicht Sentas, deren Ballade vom erlösungsbedürftigen Mann und der Frau, die sich ihm opfert, ja auch als Zentrum der Oper betrachtet werden kann. Nur ist diese Frau hier ein Teenager (Gaby Haas), der sich nachts in die Bibliothek schleicht, um sich wohlig in die Fabeln von düsteren Helden zu vertiefen: bis diese eben im Bild lebendig werden.

Korsar oder Korsett

Es ist nun schlicht grossartig, wie die Inszenierung diesen Mädchen-Wachtraum bis zur Vereinigung (!) mit dem Idol durchzuspielen vermag. Wir sehen das blonde, stumme Kind leblos an der Brust des Holländers auf seinem Schiff, das mit ruhigem Auf und Ab des Buges und gehisstem schwarzem Segel die Fahrt aufnimmt. Aber eigentlich gehört Sentas Leben nicht dem Korsar, sondern dem Korsett, in das es gezwängt wird: Und dieses andere Leben ist nun das der singenden Senta, die von den Mädchenträumen nicht loskommt und verblüht und hysterisch sich in ihrem Holländer-Traum verkapselt, den Verehrer Erik abblitzen lässt, dafür aber, dem Vater gehorchend, einem Holländer Treue schwört, der nun alles andere ist als der Traummann aus ihren Büchern.

Gnadenlos stimmig zieht die Inszenierung die Verdoppelung der Figuren durch: Im grossen Duett schneidet sich die erwachsene Senta in die Arme und im Final der Oper die Halsschlagader auf, dass das Blut nur so spritzt. Synchron dazu verläuft die Begegnung zwischen dem Mädchen und ihrem Holländer-Helden in einem zweiten Salon, der sich im Bilderrahmen des ersten identisch präsentiert.

Das Fazit für Wagner ist damit aber fatal: Der Holländer als Identifikationsfigur mit seiner Weltschmerzproblematik ist diskreditiert als Backfischfantasie und für das «Weib der Zukunft» lautet die Diagnose: schwerer Fall von Regression. Wagnerianer dürften an dieser Sicht, die so etwas wie die Erlösung vom «Erlösungsdrama» betreibt, keine Freude haben. Aber die Frage, aus welcher Art von Frauenschicksal der Stoff der Opern ist, darf und muss gestellt werden.

Natürlich haben die Figuren, die als Resultat dieser Analyse auf der Bühne erscheinen, auch den Nachteil, primär einmal unattraktiv zu sein. Aber wie der Erfolg am Ende bewies, blieben die darstellerischen und sängerischen Leistungen als solche nicht unbemerkt. Die Inszenierung profitiert vom Glück einer durchs Band hochkarätigen Besetzung. Alfred Walker ist ein timbrereicher Holländer, Kirsi Tiihonen eine mit Höhenglanz stark präsente Senta, Liang Li ein warmklingender jovialer Daland und Thomas Piffka ein Erik von tragischem Format, auf den auch die Inszenierung keine Ironie kommen lässt.

Chorklang und Gemetzel

Zu hören sind griffige Stimmen für klare Deklamation, aber auch fähig, lyrisch klangschön zu gestalten. Die Momente berührender Intimität lassen denn auch ahnen, dass das Werk neben Erlösungskitsch auch eine unverfängliche Sehnsucht nach nicht trivialer menschlicher Bindung anspricht. Dafür besitzt Friedemann Leyers Dirigat die Sensibilität. Aber auch präzis kalkulierte Effekte fehlen nicht. Auf einen grossartig präsenten Chor und ein intensiv musizierendes Orchester kann er sich verlassen: In der Chorszene im 3. Akt summieren sich die Energien zum spektakulären Getöse – Senta imaginiert hier eine monströse Racheorgie der Piraten: Musik und Szene schaukeln sich gewaltig hoch – «filmreif», kann man da nur sagen.