Die pubertäre Senta

Martin Andris, Magazin klassik.com (20.01.2009)

Der fliegende Holländer, 18.01.2009, Basel

Rasante Werbeclip-Ästhetik, durchgestylte Wagner-Aktualisierung: all das darf man von Philipp Stölzls Inszenierung des 'Fliegenden Holländer' in Basel nicht erwarten. Der gelernte Bühnenbildner Stölzl arbeitete in der Vergangenheit zwar vor allem als Regisseur für Musikvideos von Künstlern wie Madonna und Rammstein, dass er aber jederzeit einfühlsam mit seinen Projekten umgeht, ist einem größeren Publikum spätestens seit seinem Kinofilm 'Nordwand' klar. Sein Zugang zu Wagners Frühwerk ist genau in diesem Sinne erfrischend konservativ. Stölzl gehört nicht zu jener Sorte junger Regisseure, die ihre Opern zwanghaft einem urbanen Rhythmus angleichen wollen. Im Gegenteil: Zunächst bleibt die Bühne fast regungslos. Von Wagners orchestralen Meeresstürmen sind auf der Bühne nur verträumt wippende Kinderfüße übrig. In ein riesiges Buch vertieft: Senta.

Schnell wird klar, wie Stölzl die Akzente setzt. Der leidende Holländer – eine Randfigur, ein Hirngespinst Sentas. Bemerkenswert, wie Stölzl es so schafft, das Werk aufzustöbern. Aus der pathetischen Verherrlichung weiblicher Treue wird so eine Mischung aus Adoleszenz-Drama und Gruselgeschichte; die aufopferungsvolle Senta wird zu einem autoaggressiven Mädchen, das sich aus seiner tristen Wirklichkeit wegträumt. Geschickt hantiert Stölzl hier mit verschiedenen Realitätsebenen. Nur gegen Ende des zweiten Aufzugs droht sein Versuch zu scheitern, den Holländer komplett in das Reich der Träume zu verbannen. Warum Senta der realen Hochzeit mit einem überspitzt langweiligen Bräutigam einwilligt, bleibt unschlüssig. Solche Ungereimtheiten vergisst man allerdings sehr schnell, bei einer ansonsten so detailreich und liebevoll gearbeiteten Aufführung.

Stölzl ist immer noch fasziniert von der Suggestionskraft des Theaters, deshalb verzichtet er auch auf ein übertriebenes Psychogramm seiner Senta und besinnt sich über weite Strecken auf das Bühnenmäßige dieser Oper. Ein Holländer mit Piratenhaken, eine Gespensterbesatzung wie aus der Gruselbahn – Stölzl scheut sich nicht vor Trivialitäten. Ist das nicht kitschig? Die entwaffnende Naivität seiner Bilder verdrängt derartige sophistische Bedenken augenblicklich. In dieser liebevollen Inszenierung will man nicht der Spielverderber sein.

Und da ist ja noch die Musik: Friedemann Layer kümmert sich behutsam um sein Orchester und den Chor des Theater Basel, und versucht intelligenterweise gar nicht erst den lärmenden Wagner-Knüppel auszupacken. Das kommt den ausgezeichnet besetzten Sängern zu Gute. Kirsi Tiihonen als Senta schafft es immer wieder, anrührende Momente zu erschaffen. Auch wenn ihre Stärken nicht unbedingt in den leisen Tönen liegen, verleiht sie ihrer Figur einen seltsam verletzlichen Glanz. Alfred Walker ist ein souveräner Holländer, der sich trotz leicht zischender Aussprache und dramaturgischem Abseits wacker schlägt. Durch ein besonders angenehmes Timbre überzeugt Liang Li als Daland; trotz kleinerer Textunsicherheiten gehört er sicher zu den überzeugendsten Sängern des Abends.

Gerade in musikalischer Hinsicht bekommt man in Basel einen hervorragenden 'Holländer'. Mit einer Einschränkung: Im ersten Akt wirkte das alles etwas zaghaft, das Orchester etwas bremsend. Mit Sicherheit wird sich das im Laufe der Spielzeit ändern.