Eine köstlich-virtuose Maskerade

N. N., Der Bund (02.02.2009)

Der Rosenkavalier, 31.01.2009, Bern

Dieter Kaegi inszeniert am Stadttheater Bern Richard Strauss’ «Rosenkavalier»

Sie ist eigenwillig, brillant, bunt, reich an Überraschungen und vom Ensemble des Stadttheaters und dem Berner Symphonieorchester unter Srboljub Dinic musikalisch fein ausgelotet: die neue «Rosenkavalier»-Inszenierung am Berner Stadttheater.

Es sei eben bloss eine Farce und wienerische Maskerade gewesen und weiter nichts, meint die Marschallin gegenüber dem völlig konsternierten Baron Ochs, der am Ende nicht begreifen will, dass er in Heirats- und Gesellschaftsdingen endgültig aus dem Spiel ist. Maskerade und Komödie, dies sind bei allen reflektiven Momenten des Stücks auch die eigentlichen Triebfedern, die die Autoren Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss angeregt haben. Ob Molières Figuren, Mozarts «Figaro», geläufige Einfälle aus der Wiener Volkskomödie, Wagners «Meistersinger» oder gar Goethes «Wilhelm Meisters Lehrjahre» Pate gestanden haben, der «Rosenkavalier» fasziniert durch die einzigartige Konfiguration der Gestalten.

Theater im Theater

Dieter Kaegi stellt das Komödiantische in mehrfacher Hinsicht in den Vordergrund. Typisch umgesetzt etwa im Spiel mit dem Frühstückstablett im ersten Bild, wie dies übrigens Hofmannsthal bereits 1909 in einem szenischen Entwurf skizziert hatte. Kaegi und die Gestalter Okarina Peter und Timo Dentler (Bühne und Kostüme) spielen in mehreren Facetten auf brillante Art mit der Idee des Theaters im Theater, der Komödienbühne eben.

Hält sich das erste Bild im Schlafzimmer der Marschallin noch eher neutral und zitiert bloss in den Livreen der Bediensteten und einigen Möbelstücken Höfisches, gerät mit dem Zuckerbäckerrokoko der Saal des Emporkömmlings Faninal endgültig zum Stilzitat. Als Spielfläche dient eine aus dem Theater gerissene Wand, die den Blick ins komödiantische Leben freigibt, ein nicht selten auch ernsthaftes und verletzendes Leben. Und mit der Kopie der Berner Bühnenfront wird die Übergabe der silbernen Rose, die bisher meist pathetisch überhöht inszerniert worden ist, zur Show. Sie erinnert an Alfred Rollers historisierende Stilstudie bei der Uraufführungsdekoration im Sinne des Ancien Régime, die glücklicherweise endgültig Geschichte ist.

Zwischen Mensch und Puppe

Hofmannsthal sieht seine dramatischen Figuren zwischen Mensch und Puppe angesiedelt. Auch diese Sicht hat in Kaegis Inszenierung partiell Eingang gefunden. Nicht die Zeichnung der Protagonisten aber, sondern die zahlreichen Nebenfiguren fordern in dieser «Komödie für Musik» die Personenregie heraus.

In den heiklen Massenszenen hatte auch Kaegi nicht immer nur eine glückliche Hand. Trotzdem gelingt insgesamt mit dieser Berner Inszenierung ein gleichermassen raffinierter wie fantasievoller Theaterabend. Den operngeschichtlich einzigartigen emotionalen Absturz vom Überschäumen der Gefühle zu Distanziertheit und Vereinsamung, wie ihn der erste Akt des «Rosenkavaliers» durchlebt, hat Kaegi auch bildlich und gestisch auf bemerkenswerte Weise veranschaulicht.

Orchestermeisterstück

Die etwas eigenwillige Gattungsbezeichnung «Komödie für Musik» erinnert daran, dass so viele unterschwellige Beziehungen in dem reichen Netz an wechselnden Personenkonfigurationen allein aus der Musik zu erfahren sind. Dass beispielsweise das Terzett im dritten Akt, Moment höchster emotionaler Verinnerlichung, der Walzermelodie von Lerchenaus «Leiblied» folgt, besagt genug. Zwar ist es Oktavian, der Rosenkavalier, der alle Bindungen durcheinander bringt, aber letztlich tanzen fast alle nach der Melodie des Ochs von Lerchenau.

Srboljub Dinic präsentiert gemeinsam mit dem Berner Symphonieorchester eine grossartige Leistung. Die filigrane Vieldeutigkeit dieser Musik, die Hornorgien des ersten, die horrende Virtuosität des dritten Akts, die für die Balance so verzwickt-heiklen Schwebeklänge der hohen Streicher und Holzbläser oder die satten Orchesterklänge, die eigentlich die raumakustischen Bedingungen des Berner Theaters sprengen: Dinic und das Orchester bleiben im Rausch wie in der Zurücknahme brillant und intonationssicher. Bloss die Zurücknahme ins Stille und das musikalische Durchatmen nach dem Abgang von Ochs im ersten Akt könnten deutlicher herausgearbeitet sein.

Ensemblemeisterstück

Alexandra Coku bleibt in ihrem Monolog über Zeit und Vergänglichkeit «Kann mich auch an ein Mädel erinnern» szenisch und musikalisch etwas sich selbst überlassen. Ansonsten aber ist sie eben jene junge Frau, die nicht jung sein, sondern bloss gesellschaftlich funktionieren soll. Es ist dieser Konflikt in der Figur, den Coku trefflich zeichnet. Eine Referenz an alte Berner Zeiten ist das Engagement von Günter Missenhardt in der Rolle des Baron Ochs, der in dieser Partie in Bern nicht allein debütiert, sondern diese mittlerweile 335 Mal gesungen hat. Trotz der Geste auf seine strapazierten Stimmbänder meistert Missenhardt seine Partie sicher und verleiht jeder Inszenierung sein ganz eigenes Gesicht.

Michaela Selinger als Oktavian ist nun auch für Bern zur echten Entdeckung geworden. Sie wurde als Ersatz für Claude Eichenberger für die Titelrolle engagiert, die sich einer Meniskusoperation unterziehen musste und im März wieder in dieser Partie auf der Bühne stehen wird. Stimmlich herausragend und in den vielfachen Gestalten ihrer Partie köstlich, prägt Selinger die Inszenierung durchwegs. Hélène Le Corre als Sophie lässt sich nicht auf die sattsam bekannte naive Kindfrau reduzieren, sondern zeigt das von Strauss auch mitkomponierte selbstbewusste Eigenleben. Natürlich ist der «Rosenkavalier» auch eine Herausforderung für das Ensemble, das sich u. a. mit Fabienne Jost (Leitmetzerin), Andries Cloete (Valzacchi), Qin Du (Annina), Richard Ackermann (Notar, Kommissar) und vielen anderen von seiner beste Seite zeigte.

Hofmannsthals raffiniert-psychologische Intrige und Strauss’ einzigartig musikalischer Wurf hat in Bern eine köstliche, virtuose, keinen Inszenierungsklischees verpflichtete, sondern eigenwillige und unbedingt sehens- und hörenswerte Einstudierung erfahren.