Svend Peternell, Berner Zeitung (02.02.2009)
Vier Stunden grosse Oper: «Der Rosenkavalier» im Stadttheater Bern bietet berauschende Musik und spannende Bühnenfiguren. Regisseur Dieter Kägi spielt mit den Zeitebenen und arbeitet mit Projektionsflächen: Aufregend!
Wie die Zeit doch vergeht! Günter Missenhardt, der im Berner «Rosenkavalier» den Baron Ochs verkörpert, war auch schon vor über 20 Jahren in der gleichen Rolle am Stadttheater dabei. Missenhardt gehört zu jenen wenigen Sängern, die auch über einen herrlichen Theaterinstinkt verfügen. Sein Bass ist nach wie vor schön anzuhören. Missenhardt stattet den derben Schürzenjäger auch 20 Jahre danach mit viel Witz, Agilität und Verschlagenheit aus. Was sich geändert hat: Missenhardt ist älter geworden. So selbstverständlich fliegen junge Frauen nicht mehr auf so ein Mannsbild.
Anders geworden ist auch die Inszenierung: Der damalige Operndirektor Edgar Kelling liess in üppig ausgestatteten Palais-Interieurs aus dem 18.Jahrhundert agieren. Heute spielen Regisseur Dieter Kägi und sein Ausstattungsteam Okarina Peter und Timo Dentler (Bühne/Kostüme) raffiniert mit den Brüchen von Zeit und Ort, die der Librettist Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss anbieten. So unterlegt Strauss den Plot aus dem Wien der ersten Jahre der Regierung Maria Theresias (um 1740) einige Male mit Walzertakten, die es zu jener Zeit noch gar nicht gab.
Wand liegt am Boden
Dementsprechende Freiheiten nimmt sich auch das Regieteam heraus. Die Spielfläche besteht aus einer schräg aufliegenden, getäfelten, mit Leuchter bestückten Wandfläche des Rokoko, die aus einer weissen Fassade unserer Zeit herausgebrochen worden ist. Sie setzt Projektionen frei. Im zweiten Akt gipfeln diese in der nachgebauten Stadttheater-Bühne (1903), die den Geist jener Zeit einfängt, als die Oper entstand (1911). Gleichzeitig bietet sie auch den aktuellen Spiegel- und Theater-im-Theater-Effekt für das Publikum von heute. Der dritte Akt schliesslich lässt auch diesen (Bühnen-)Rahmen buchstäblich in sich zusammenbrechen. Wien, der Handlungsort, kann auch München (Oktoberfest) oder das Fegefeuer sein.
Dieter Kägi und seine Ausstatter haben ein faszinierendes Panoptikum an Figuren aus dem Theaterfundus auf die Bühne gestellt – mit Kostümzitaten quer durch alle möglichen Epochen. Es gibt die grelle Posse wie den derben Schwank und die Walpurgisnacht, aber auch den heiteren Zauber wie den melancholischen Ton der Komödie.
Innere Grösse richtet auf
Zu den ernsten Tönen gehören auch Weisheit und innere Grösse der Feldmarschallin. Sie hat gelernt, bei allem erlittenen (Liebes-)Schmerz loslassen zu können. Alexandra Coku findet schon im ersten Akt mit ihrer glaubwürdigen Darstellung und stimmlichen Kultiviertheit zu magischen Momenten. Im Finale kommt die Zerrissenheit des ansonsten jugendlichen Draufgängers Octavian hinzu, der nun die grosse Liebe zu Sophie zu spüren glaubt und sich bei der Marschallin dafür absichert. Klar kriegt er grünes Licht! Michaela Selinger, für die verletzte Claude Eichenberger eingesprungen, gestaltet diese titeltragende Hosenrolle höchst sympathisch. Hélène Le Corre legt als Sophie ihr Kleinmädchenimage ab und mausert sich zur selbstbewussten jungen Frau.
Üppig strömen die Klänge aus dem Graben des stilsicher und in grosser Besetzung aufspielenden Berner Symphonieorchesters, das auch die kammermusikalischen Finessen sauber rüberbringt. Dirigent Srboljub Dinic gelingt es bisweilen ausgezeichnet, die berauschende Musik clever zu temperieren: Vor allem die Sängerinnen verdanken es mit Hörbarkeit.
Wie die Zeit doch vergeht. Die gut vier Stunden sind nicht zu lang. Das Premierenpublikum applaudierte auch weit nach 23 Uhr sehr zufrieden.