Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (02.02.2009)
Das kleine Stadttheater Bern wagt sich an den grossen «Rosenkavalier» von Richard Strauss. Ein Wagnis, das sich trotz Produktionstrubel kurz vor der Premiere gelohnt hat.
Einer ist immer gut. Da mag eine Oper auch vier Stunden dauern und wenig Überraschungen bieten. Eine hält uns im Plüsch gefangen, lässt uns gebannt das Parfüm links, das Schnarchen rechts - ja, im schönsten Fall gar die Welt vergessen.
In der jüngsten Berner Opern-Produktion sind es gar zwei Sänger, die uns staunen machen und hellwach halten. Und da ab dem 2. Akt auch Dirigent und Orchester überraschen, sind die Erwartungen fast schon übertroffen.
Von vorn? Besser nicht, denn «von vorn» würde heissen, dass erzählt werden müsste, unter welch schwierigen Bedingungen die Produktion entstand. Vor zwei Wochen wurde der Regisseur ausgewechselt, kurz darauf fiel die Sängerin des Oktavian wegen einer Fussverletzung aus.
Schwamm drüber. Der Vorhang ging am Samstag hoch. Zwei Menschen vergnügen sich unter der Bettdecke. Der «Rosenkavalier» nimmt seinen Lauf, mit etwas gar viel Hang zur Komödie da, etwas wenig Welt-Philosophie dort. Immerhin: Regisseur Dieter Kaegi hat in der kurzen Probenzeit vieles sehr geschickt arrangiert. Warum die erste optisch interessante Szene auf einer niedergerissenen Wand spielt, kann allerdings auch er nicht mehr klarmachen. Im 2. Akt dann lässt sich auf der Oper in der Oper die Rosenübergabe prächtig spielen.
Octavian weiss gar nicht so recht, wie das geht. Nur weg mit dem silbernen Ding und heim, scheint er zu denken. Doch dann schaut er etwas tiefer in die Augen seines Gegenübers, dieser Sophie, und . . . verliebt sich in sie.
Und dieser Octavian singt mit einem wunderbar satten Ton, sein Timbre duftet in allen Lagen nach dunkelroten Rosen. Wahrlich ein Glück für Bern, hat Michaela Selinger den Part so rasch übernehmen können. Ein ebenso grosses Glück ist es, wird Octavians Kontrahent, Baron Ochs von Lerchenau, von einem ebenso prächtigen Interpreten verkörpert. Günter Missenhardt kennt die Rolle bis ins kleinste Detail: Selbst der polternden Komik gibt er eine Eleganz. Und so mag dieser Ochs von Stunde zu Stunde eine dümmere, bisweilen eklige Figur machen: Dank Missenhardt behält sie Grösse. Alexandra Coku (Feldmarschallin) und Hélène Le Corre (Sophie) ergänzen das Ensemble, ohne dass sie stimmlich grosse Akzente setzen könnten - aber ins vergnügliche Spiel passen sie bestens.
Wie Dirigent Srboljub Dinic mit dem Berner Sinfonieorchester ab dem 2. Akt das Geschehen mitzeichnet und kommentiert, ist schlicht toll, auch wenn man einiges eleganter spielen oder die Süsse etwas mehr auskosten könnte, ohne dass sie klebrig wird.
Und so sind die vier Opernstunden flugs um, kurz vor 23 Uhr kennt die Terzenseligkeit keine Grenzen und stilles Opernglück legt sich über das Haus. Da taucht das altbekannte Negerlein aus dem Hofmannsthal-Libretto auf. Aber anstatt Sophies Taschentuch aufzulesen, kickt es zwei liegen gebliebene Utensilien weg, reisst sich den Turban vom Kopf und lässt den Vorhang runtersausen. Nun ist dem letzten Opernträumer klar: Das Theater ist aus, draussen wartet die kalte, lärmige Stadt.