The Rake’s Progress

Verena Naegele, Basler Zeitung (16.02.2009)

The Rake's Progress, 14.02.2009, Zürich

Premiere am Zürcher Opernhaus

Angesagt waren skandalöse «nackte Tatsachen», geboten wurde ein vergnüglicher Abend ohne Eklat. Igor Strawinskys «The Rake’s Progress» überzeugte in Zürich.

«Zürich 2009» steht auf einer Leuchtschrift, wenn der Vorhang sich hebt und die Sicht auf einen kahlen Wohnraum freigibt. Erzählt wird die Geschichte eines gelangweilten Mannes im «Jetzt», beherrscht und gelenkt von medialen Scheinwelten, geil auf Abenteuer und Geld. Tom ist kein Macho, sondern ein «Bubi», bei dem Nick Shadow, der – welch bissiger Einfall – zu Beginn aus einem «Pizza-Diavolo-Karton» steigt, leichtes Spiel hat. Das Ambiente (Bühne Annette Murschetz) und die Kostüme (Su Sigmund) ergeben das sprechende Bild einer sinnentleerten Welt.

Klangmagie. TV ist omnipräsent und manipuliert die Menschen. Wunderbar, wie Tom fasziniert ist von der androgynen Türkenbaba, die in einer Glamourshow im Bildschirm zur «Schweizerin des Jahres» gekürt wird – sogar Moderatorin Sandra Studer erscheint (Video Peer Engelbracht). Und am Schluss flimmert die «Moral der Geschichte» als Talkshow mit den Protagonisten als Gesprächsteilnehmer über einen Heimkino-Monitor. Dass Regisseur Martin Kušej die Szene im Bordell mit nackten Männern und Frauen bevölkert, die rituell den Geschlechtsakt in allen Varianten vollziehen, ist in diesem Kontext folgerichtig und, von Strawinskys klassizistischer Musik begleitet, auch nicht anrüchig.

Die Musik hat es allerdings in sich: Obwohl mit einem «Così-fan-tutte»-Orchester bestückt, setzt Strawinsky die Instrumente mit Fantasie und Klangfarbigkeit ein, setzt rhythmische Tupfer und schwelgt in Melodien. Der für Nikolaus Harnoncourt eingesprungene Thomas Adès erweist sich am Pult des formidablen Orchesters als wahrer Klangmagier, er wechselt gekonnt zwischen grotesken, heiteren und tragischen Szenen und fügt das Ganze zu einem stimmigen Abend.

Präsenz. Shawn Mathey glänzt in der Monsterrolle des Tom durch Unbedarftheit und hellen Tenor mit vielen Schattierungen. Ihm zur Seite steht Martin Gantner als Nick Shadow, dunkel-teuflisch sein Timbre, bestimmt sein Auftreten. Schade, dass der packend singende Chor zumeist in die Proszeniumslogen verbannt ist, was zu Durchhängern führt. Kein Jahrmarktsmonster, sondern ein faszinierendes Glamourgirl gibt Michelle Breedt, die auch als Musicalstar mit flexiblem Mezzo und tänzerischer Einlage gute Figur macht. Und Eva Liebaus Anne erhält lyrisch-dramatische Konturen mit anschmiegsamem Sopran und theatralischer Präsenz.