Glanz und Elend der Generation Superstar

Herbert Büttiker, Der Landbote (16.02.2009)

The Rake's Progress, 14.02.2009, Zürich

Das Instrument des Teufels ist heute die TV-Fernbedienung. Das Opernhaus Zürich zeigt Igor Strawinskys Mozart-nahe Retro-Oper «The Rakes Progress» als aktuelle Zeitsatire.

Eigentlich wäre alles gut, Tom und Anne lieben sich und Vater Trulove hat grundsätzlich nichts dagegen. Nur sind da noch die allltäglichen TV-Bilder von Glanz und Gloria, und die Einladung an alle, ans Casting zu kommen. Sie sprechen gegen das kleine Glück. Igor Strawinsky und Wystan Hugh Auden, die sich 1947 zu William Hogarths berühmten acht Kupferstichen über den «Lebenslauf eines Wüstlings» die Geschichte ausmalten und zum Libretto formten, bedienten sich noch des Teufels, der als Nick Shadow den hoffnungsvollen jungen Mann in den Sumpf der Grossstadt und schliesslich ins Irrenhaus führt.

Martin Kusej, der Regisseur der neuen Inszenierung im Opernhaus Zürich, hält das Libretto zwar für «indiskutabel», aber er ändert daran nichts. Nur nutzt der Teufel bei ihm jetzt auch die Superstar-Show und andere TV-Trash-Formate. Er lässt Tom statt die Türken-Baba mit Vollbart aus dem Zirkus die transsexuelle Diva heiraten, die gerade Kult ist und mit ihm auf Lifestyle macht (mit echtem Swimmingpool auf der Bühne). Die Maschine, mit der Tom die innere Leere ausfüllen respektive gross herauskommen will, ist hier nicht ein barocker Apparat, der aus Steinen Brot macht, sondern eine TV-Show, in die Karlheinz Böhm mit seiner «Hilfe für Afrika» integriert ist. Aber ein Thomas Gottschalk zu werden, misslingt, dafür tritt der blonde Showgott dann als Auktionator auf, als Toms und Babas Besitz versteigert wird. Das Irrenhaus, so zeigen der Regisseur und seine Bühnenbildnerin Annette Murschetz, ist ein ödes Wohnzimmer, im TV läuft das normale Programm. Es ist Fasnacht.

Liebeskurs im Swinger-Club

Der Witz dieser Aktualisierung bewährt sich noch einmal ganz am Schluss, wenn das Rondo-Finale mit seinen platten Weisheiten als Talkrunde auf dem Bildschirm vorgeführt wird. Mehr Aufhebens macht die Aktualisierung, die in Wien für ein Jugendverbot der Aufführung sorgte (die Neuinszenierung ist eine Koproduktion mit dem Theater an der Wien): Statt ins Bordell mit einem Chor von Huren und Randalierern führt Nick Shadow Tom in den Swinger-Club. Auf der Bühne mimt ein Dutzend nackte Figuranten das stumme Treiben: ein wahrhaft tristes Bild von Sexualität, aber auch opernszenisch – die Chorleute in der Rolle von Huren und Randalierern singen vom wüsten Leben klangprächtig, aber brav in den Logen sitzend – eher ein Durchhänger.

Dafür gerät die Friedhofszene, die Kusej als «theatralisch total schlecht und uninteressant» (Interview im Programmheft) taxiert, ganz ohne Aktualisierung zu einem Höhepunkt. Hier, wo Shadow seinen Lohn, Toms Seele, einfordert und ihm beim Kartenspiel noch eine letzte Chance gibt, erreicht die Dramatik zwingende Schlüssigkeit. Dass Tom völlig «unsinnig» zum zweiten Mal auf die Herzdame setzt – würde Shadow nicht betrügen wollen, wäre sie nur einmal im Spiel –, ist eben nicht, wie Kusej meint, «an den Haaren herbeigezogen», sondern weist ins Zentrum des Stücks, auf den Kern der Parabel um das ewige Thema Liebe.

Diese zu ignorieren, bedeutet auch eine Fehleinschätzung des poetischen Grundcharakters der Oper, auch ihrer Musik, die sich ja schon stilistisch vom Anspruch einer zeitgemäss expressiven und realistischen Erzählung distanziert. Von Bach und Händel bis Donizetti und weiter reichten Strawinskys Referenzen, in deren Zentrum erklärtermassen und hörbar Mozart stand. «Così fan tutte» betrachtete Strawinsky als Modell, als ein Tamino könnte seine Hauptfigur bezeichnet werden, einer freilich, der die Prüfung nicht besteht. «The Rakes Progess» bedient sich nicht nur des ganzen Arsenals der Operngeschichte, sondern ist auch ihr Abgesang. Der Mythos (Adonis) und Toms Wahnsinn sind am Ende eins.

Die Liebe, eine offene Frage

Die Frage, ob die alte Idee der Liebe in dieser Oper noch über das «selbstreflexive System des Theatermachens» hinausgreift, müsste eine Inszenierung stellen, die sich eben für dieses Selbstreflexive einer Oper über die Oper interessiert. Das tut Kusej explizit nicht. Aber gewiss ist, dass sich das Liebesthema – offenbar gegen allen Regiewillen – auch in dieser Inszenierung noch einmal aussingt – und wie: Auf der Zürcher Bühne erklingen mit Eva Liebau und Shwan Mathej zwei helle, klare, man möchte sagen: Mozart-Stimmen, sehr berührend in der unentwegten Frische der Kantilene und der blitzenden Kabaletta bei Anne, und bis ins Gebrochene des Wegdämmerns bei Tom. Natürlich könnte der «Wüstling» auch um Grade draufgängerischere Attacken reiten – der teils massive Orchesterklang hätte es auch nahelegt. Das Klangprofil schärfte sich aber von Szene zu Szene und die Balance zwischen Bühne und Orchester erreichte bald die präzise Durchsichtigkeit, die zu Strawinskys «Trockenheit» gehört.

Mit Emotionsarmut verwechselt der Dirigent Thomas Adès die spröde Handschrift nicht. Mit viel Verve entfaltet sich das ganze farbige Kaleidoskop der kunstvoll-melodiösen Instrumentation im Orchester, und manche sängerisch virtuose Tour de Force folgt ihr auf der Bühne. Wie Michelle Breedt all die Kaprizen des aufgedonnerten Fernsehstars darstellerisch über die Runden bringt, ist schon sensationell, und an Martin Gantners Nick Shadow beeindruckt gerade auch, wie die Figur die Dämonie kühl und präzis unterläuft.

Profiliert ergänzen Alfred Muff als trotteliger Vater Trulove und Kismara Pessatti als durchtriebene Puffmutter Goose das Ensemble, und Martin Zysset als Sellem, der Auktionator, geht problemlos als ein Thomas Gottschalk durch – und ist erst noch ein guter Sänger. So virtuos sich die Oper den TV- und Videoklimbim einverleibt (dafür zuständig ist Peer Engelbrecht), so wenig kommt dieser der Oper wirklich bei.