«Lulu» in Basel

Anna Kardos, Tages-Anzeiger (17.02.2009)

Lulu, 15.02.2009, Basel

«Hereinspaziert in die Menagerie! Das wahre Tier, das wilde, schöne Tier - sehen Sie nur bei mir!» So weit der Prolog von Alban Bergs «Lulu». Der katalanische Regisseur Calixto Bieito hat ihn beim Wort genommen und die Oper auf einer körperlichen, beinahe animalischen Ebene angesiedelt.

Was aber macht ein Tier aus? Es wird von seinen Instinkten gesteuert und ist meistens unbekleidet. Statt mit Andeutungen wurde denn auch mit nackten Tatsachen operiert. Am liebsten in Grossformat, Frontalansicht oder verbrämt mit einem Strasstanga oder einem Kleidchen (Kostüme: Ingo Krügler), das nichts mehr zu erahnen übrig liess. Aber das mit der Verführung ist ohnehin passé, heutzutage wird einfach frisch draufloskopuliert. Hatte man sich allerdings erst einmal mit der Fleischbeschau arrangiert, musste man zugeben: Das Regiekonzept ging auf.

So ist Lulu bei Bieito ein südamerikanisches Importmädchen. Dr. Schön (mit eiskaltem Charisma: Claudio Otelli), der sie «da rausgeholt» hat, mag sie nicht zur Frau nehmen, aber in gewissen Stunden will er sie doch aufsuchen können. Was also liegt näher, als Lulu mit einem seiner Freunde zu verheiraten und dabei ständiges Gastrecht zu geniessen? Ein richtiges Prachtexemplar ist sie nämlich: exotisch, wild, kurz: ein «Tierchen».

Sollte es für Inszenierungen ideale Besetzungen geben, dann ist Marisol Montalvo die ideale Bieito-Lulu (im Bild mit Claudio Otelli als Dr. Schön). Zwar kommuniziert sie mehr durch ihren Körper als durch ihre Stimme, aber kaum jemand kann derart unbekleidet derart unbefangen auf einer Bühne sitzen oder auf allen vieren herumkriechen. Dabei gelingt Montalvo in ihrem Spiel die beklemmende Gratwanderung zwischen Urtrieb und dem Kokettieren aus Überlebensinstinkt.

Auch das übrige Ensemble spielt - vom Tierbändiger (Andrew Murphy) bis zum Maler (Rolf Romei) - intensiv und überzeugend. Dass es dabei noch eine Zwölftonoper singt, geht manchmal fast vergessen. Aber nicht ganz. Dafür sorgt schon Tanja Ariane Baumgartners Stimme. Voller Strahlkraft ist sie und genauso edel und grosszügig wie die Gesinnung ihrer Rolle, der Gräfin Geschwitz. Oder auch Allan Evans, der dem väterlichen Schigolch auch in der Musik Ausdruck verleiht. Und nicht zuletzt das Orchester, das unter der Leitung des neuen Gastdirigenten Gabriel Feltz eine Klangwelt der Verführung schafft: satt, mit Schmelz und Wärme.

Mit Dr. Schöns Tod setzt der Abstieg ein, der in die Gosse und schliesslich zum Tod aller Beteiligten führt. Wer hier wem eine Suppe eingebrockt hat, bleibt unklar - zu gross sind die gegenseitigen Verstrickungen und Abhängigkeiten. Nur eines ist klar: Lulu wird bis zum Schluss von den Männern benutzt. Bieito hat die Vorlage zwar auf wenige Ebenen reduziert, seine Bilder jedoch sind stark, die Beziehungen schlüssig und die Realität, die er zeichnet, ist wahrhaft keine rosige.