Pathetischer Gesang im Gen-Labor

Fritz Schaub, Neue Luzerner Zeitung (04.07.2006)

Tiefland, 01.07.2006, Zürich

«Tiefland» ist eine Opernrarität. In der Zürcher Inszenierung werden die Liebesintrigen gemischt mit Gen-Technik.

Während die Klarinette im Vorspiel einsam ihre elegische Melodie bläst, hebt sich der Vorhang über Vitrinen, in denen Menschen aufrecht stehen. Später versinken die Vitrinen, auf der Bühne erscheinen wieder die Menschen aus dem Labor, jetzt manipuliert: in deren Mitte Pedro, als einfacher Hirte gewandet. Offensichtlich wollten der Zürcher Schauspielhaus-Direktor und seine Mitarbeiter vom platten Naturalismus «Tiefland» ist eine der wenigen deutschen Verismo-Opern ? wegkommen und vermieden es, das Hochgebirge des Vorspiels realistisch zu präsentieren. Allerdings erscheint die «Felsenhalde in den Pyrenäen mit der einsamen Berghütte» auf einer Grossleinwand, auf die auch Gesten und Mimik der Sängerdarsteller projiziert werden.

Kitsch-Ironie

Sebastiano, Besitzer einer Mühle, steht vor dem Bankrott. Er will deshalb Marta, die er einst als Waisenkind aufgenommen hat, mit dem Hirten Pedro vermählen, um seinerseits die Tochter eines reichen Gutsbesitzers heiraten zu können. Natürlich würde er die Gattin des übertölpelten Hirten weiterhin als Geliebte benützen. Er hat die Rechnung indes ohne das Paar gemacht, denn Marta und Pedro sind nach einer dramatischen Entwicklung in Liebe entbrannt. Hier erklimmen Musik und Gesang in d'Alberts Oper Dimensionen von wagnerschem Ausmass. Ein Pathos wird entfacht, dem Hartmann offensichtlich nicht traute: Plötzlich flimmern rosa Papierchen über das Liebespaar, und der Chor macht die Szene vollends zum Kitsch, was im Publikum Lacher auslöste.

So bewegt sich die Inszenierung zwischen ironischer Distanz zum Pathos und Annäherung an moderne Gen-Manipulation, was ein Teil des Publikums mit Buh-Rufen quittierte. Die Luzerner Inszenierung der Oper hatte 1995 der Vorlage mehr vertraut und sie in ein packendes Drama umgewandelt.

Vokale Tour de force

Auch nicht restlos überzeugt von den musikalischen Qualitäten ist Franz Welser-Möst, der meint, nicht immer halte «der Inhalt der verführerischen Verpackung stand». Aber der Generalmusikdirektor setzte sich für die Partitur ein, als wollte er dies wettmachen. Er hielt sich ganz an die Farbigkeit und die raffinierte, mit spanischem Kolorit durchsetzte Instrumentation. Effektvoll und präzis wurden die jähen Umschwünge vollzogen, fein die zarten Stimmungen eingefangen.

Die Oper weist dankbare Gesangspartien auf, die immer wieder grosse Sänger aus dem Wagner-Fach angezogen haben. So auch hier mit Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer. Beide vollbringen eine wahre Tour de force. Seiffert muss seine Stimme auch im grössten Ausbruch nie überstrapazieren, und seine (Lebens-)Partnerin bringt so etwas wie eine psychologische Entwicklung in das plakativ-direkte Drama ein. Hervorragend auch die anderen Darsteller, allen voran Matthias Goerne (Sebastiano), László Polgár (Tommaso) und Eva Liebau (Nuri). Ihnen galt hauptsächlich der Applaus des Premierenpublikums.