Geld, Glanz und Gloria

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (17.02.2009)

The Rake's Progress, 14.02.2009, Zürich

Das Opernhaus Zürich hat Strawinskys „The Rake’s Progress“ aus dem Theater an der Wien übernommen.

Die Neuproduktion von Igor Strawinskys neoklassischer Parabel, musikalisch erarbeitet von Nikolaus Harnoncourt und szenisch umgesetzt von Martin Kušej, begeisterte in Wien nicht nur das Publikum, sondern rief auch die Behörden wegen einer – nicht wirklich nötigen – Sexorgie in Mutter Gooses Bordell auf den Plan. Sonntagspresse und Pendlerzeitungen versuchten das skandalöse Gebaren auf der Bühne auch in der Schweiz zum Thema zu machen. Doch bis auf einen bei den Wahlen in die Zürcher Stadtregierung eine Woche zuvor erfolglosen Politiker sprang niemand auf den Zug auf. Eine schnell verpuffte Aufregung - so lau wie zumindest der erste Teil der Zürcher Premiere am Samstagabend.

Martin Kušej hat die Inszenierung nicht einfach nach Zürich transferiert, sondern unterstützt von Herbert Stöger auf Schweizer Verhältnisse angepasst und sie mit einer komplett anderen Besetzung neu erarbeitet. Die Grundidee bleibt freilich gleich: Tom Rakewell, der in einer in spartanisch eingerichteten Wohnung haust und sich in Castingshows den Traum vom schnellen Glück vorgaukeln lässt, steht plötzlich selbst vor der Wende. Ein aalglatter, serviler und scheinbar selbstloser Businessman mit Lagerfeld-Schwänzchen bringt ihm die Botschaft vom verstorbenen, reichen Onkel und bietet sich ihm als Diener für sein kommendes Glück an.

Nick Shadow (durchschlagskräftig und wirkungsstark Martin Gantner) ist sein Name, eigentlich ist er der Teufel. Sein wahres Gesicht zeigt er freilich erst nach einem Jahr, wenn er seinem Schützling das Grab schaufelt. Bis dahin lässt er ihn als wahren Hedonisten das Leben geniessen, worüber der junge Tom Rakewell auch seine Geliebte Anne Trulove vergisst.

Beherrscht wird die Gesellschaft um Rakewell von den Medien, vor allem von der Flimmerkiste: Wenn nicht auf der Bühne gefilmt und live auf mal grössere und mal kleinere Bildschirme übertragen wird, darf sich das Publikum wie Tom Shows oder Glamourbilder der B-Prominenz anschauen. Stärker als Toby Spence in Wien streicht der tadellos singende Shawn Mathey als Tom Rakewell sein immer wiederkehrendes Misstrauen gegenüber Nick Shadow und dem scheinbaren materiellen Glück heraus. Mathey legt die Rolle introvertierter an und setzt damit einen interessanten neuen Akzent. Eine Zirkusschönheit als Ehefrau wäre heute kein Skandal mehr, ein verwelkender, billiger Bühnenstar mit Penis statt Bart ist es noch immer. Michelle Breedt zeigt in der Rolle der plappernden Türkenbab ihr Showtalent. Für den Broadway würde es bei ihr allerdings – anders als bei Anne Sofie von Otter in Wien – noch nicht reichen.

Baba ist aber nur scheinbar geistig beschränkt, denn sie erkennt Annes wahre Liebe zu Tom. Anne, die Eva Liebau mit glockenhellem und weich grundiertem Sopran ausstattet, verheisst sie auch das Potential zum „Star“. Die Prophezeiung erfüllt sich, womit Kušej einen entscheidenden eigenen Akzent setzt: Anne ist kein naives Landmädchen, sondern träumt wie Tom von Geld und Ruhm und lässt sich auf dem Weg gerne von Nick Shadow managen.

Was die Produktion in Wien so einmalig machte, war die Tatsache, dass Martin Kušej und Nikolaus Harnoncourt einmal mehr ein „Gesamtkunstwerk“ geschaffen haben. In Zürich war Harnoncourt aus gesundheitlichen Gründen leider nicht mehr dabei. Für ihn ist der englische Komponist, Dirigent und Pianist Thomas Adès eingesprungen. So dankbar man für diesen Ersatz sein müsste, so zeigt er auch die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens auf, obwohl Harnoncourts Assistent Peter Tilling auch Adès zur Seite stand. Bis zur Pause hat man den Eindruck, dass der Abend spannungslos dahin plätschert. Das runde, wenn auch höchst differenzierte und lebendige Dirigat verbindet sich mit dem Bühnengeschehen nicht zu einer Einheit.

Nach der Pause gewinnt der Abend an Geschlossenheit, was möglicherweise auch daran liegt, dass Kušej am zweiten Teil mehr gefeilt hat. So treibt er sein Konzept von der Medienbeherrschung noch auf die Spitze, indem er den glücklosen Auktionator Sellem kurzerhand als Thomas Gottschalk-Double auftreten lässt (hervorragend Martin Zysset), der das Hab und Gut des Bankrotteurs Tom Rakewell an eine habgierige, uniforme Gesellschaft von Biederleuten verkauft. Alles in allem eine Aufführung auf hohem Niveau, aber nicht mehr.