Mit brennender Intensität

Hanspeter Renggli, Der Bund (03.03.2009)

Un Ballo in Maschera, 01.03.2009, Bern

Mit Giuseppe Verdis Oper «Un ballo in maschera» kam im Stadttheater Bern eine musikalische Delikatesse auf die Bühne
Das Stadttheater Bern präsentiert ein beeindruckendes Sängerensemble, eine bewundernswerte Orchesterleistung und ein stimmiges Ambiente, während die Substanz der Personenregie eher zu erahnen als zu deuten ist.

Das Thema war keineswegs neu: Der Tod des Schwedenkönigs Gustav III. von 1792 hatte bereits mehrere Autoren beschäftigt. Allein, die Zensurbehörden liessen die Ermordung eines Monarchen auf offener Bühne nicht zu. So erzählen Giuseppe Verdi und sein Librettist Antonio Somma in der Oper «Ballo in maschera» eine Geschichte, die im 17. Jahrhundert im amerikanischen Boston spielt. Der Gouverneur Riccardo will in einem Maskenball Amelia, die Frau seines Sekretärs Renato, die er liebt, ein letztes Mal treffen. Zugleich warten seine verschworenen Gegner auf ihre Gelegenheit, den geplanten Mordanschlag auf ihn auszuführen. Der Plan erhält einen ungeahnten Schub, nachdem sich auch Renato ihnen anschliesst und durch das Los gar zum Täter bestimmt wird. Renato ist sich der Untreue seiner Frau und der Beschämung durch Riccardo sicher. Bereits zuvor hatte die Wahrsagerin Ulrica Riccardos Tod durch die Hand eines Freundes geweissagt. So wird schliesslich der festliche Hofball zum Ort des Anschlags und zugleich zur Erfüllung dunkelster Prophezeiungen.

Verdis Oper ist verschiedentlich mit Mozarts «Don Giovanni», aber auch mit Wagners «Tristan» verglichen worden. Tatsächlich kennt kaum eine andere Oper dieses Komponisten die sprühende Leichtigkeit und die emotionalen Gegensätze der Ensembles, hat Verdi kein Liebesduett von dermassen packender Suggestivkraft geschaffen wie jenes zwischen Riccardo und Amelia, das erst noch wie im «Tristan» genau die Mitte und dramatische Achse bildet. Verdis «Ballo in maschera», 1859 wie bereits sechs Jahre zuvor «Il trovatore» im Apollo-Theater in Rom aus der Taufe gehoben, hat zwar nie die Popularität des «Rigoletto» erreicht, weist nicht die Gassenhauer eines «Nabucco» oder einer «Traviata» auf, noch brilliert sie mit den Masseneffekten einer «Aida». Aber das Stück ist brillanter in den feinen Kontrasten und eleganter in der musikalischen Erfindung. Und alle diese faszinierenden Züge vermag die Berner Neueinstudierung mit einem grossartigen Solistenensemble und einem ausgezeichneten Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Srboljub Dinic wiederzugeben.

Zufall als Glücksfall

Zunächst hatte Intendant Marc Adam allerdings einen Besetzungswechsel anzukündigen. Anstelle des verunglückten Hoyoon Chung hatte er kurzfristig den chilenischen Tenor Felipe Rojas für die Hauptrolle des Riccardo gewinnen können, der u. a. als Ensemblemitglied der deutschen Oper Berlin als eigentlicher Spezialist für das italienische Fach gilt. So heikel und herausfordernd solche Umbesetzungen für die Regie, die musikalische Einstudierung, die Tempi, die Kadenzen oder die Atemtechnik des Solisten sind, in diesem Falle erwies sich der unglückliche «Fall» als eigentlicher Glücksfall. Felipe Rojas demonstrierte bereits in der Canzone des ersten Akts eine beachtliche Stimmkultur, differenzierte den Ausdruck in jeder Phrase, zeigte eine fantastische Sicherheit in den Höhen und unterstrich seine musikalische Intelligenz in den Ensembles durch Zurücknahme seiner Stimme, wo diese angezeigt ist. Die kleine Unsicherheit im Liebesduett, die wohl der Premierennervosität zuzuschreiben ist, mochte seine Partnerin Gabriela Georgieva aufgrund ihrer Sicherheit nicht zu trüben. Den ekstatischen Rausch in Riccardos «Ah! qual soave brivido» umflocht sie mit dem vom Komponisten geforderten «entusiasmo». Gabriela Georgieva beeindruckte als Amelia mit feiner Akzentgebung, während ihre grossen Kadenzen zwar sicher, aber eher konventionell wirkten. Dass in diesem Liebesduett von brennender Intensität zwei Menschen in ihrer Leidenschaft jeglicher gesellschaftlicher Wirklichkeit entrückt sind, empfanden zweifellos alle im Hause nachdrücklich – mit Ausnahme der Regie, die der besondere Moment eher ratlos liess.

Lichtblicke in düsterem Umfeld

Die schwarzen Ränder dieses vielseitigen Dramas scheinen den Ansatz von Regie und Ausstattung geprägt zu haben. Christoph Wagenknecht hat hierzu eine düstere, aber schlichte Säulenhalle geschaffen, in der ein Schwarz-Weiss-Kontrast überwiegt. Und seine Kostüme kleiden die Menschen in eine durchaus aktuelle Gesellschaft, die von einer Militärjunta mit offensichtlicher Unterstützung der Kirche als moralischer Instanz dominiert wird. Indes, Verdis «Ballo» ist weit davon entfernt, ein politisches Stück zu sein. Die Sphäre der Verschwörer bilden bloss die Folie für extreme Kontraste, und deren Mordkomplott gegen den Gouverneur Riccardo erhält erst im Eifersuchtsdrama Renatos einen nachvollziehbaren Sinn.

Einmal mehr steigert Verdi Fest und Ball zu einem Totentanz, den Tanz zum Reigen in den emotionalen Absturz. Der Regisseur Wolf Widder definiert die verbotene Liebe zwischen Amelia und Riccardo sowie die komischen Interventionen von dessen Pagen Oscar als kleine Lichtblicke in einem düsteren Umfeld. Bei diesem Ansatz bleibt die Regie stecken. Widder arrangiert hier den Chor, forciert dort eine gezwungene Lustigkeit Oscars, der aus unerfindlichen Gründen die Seherin Ulrica schikaniert, und lässt unsinnigerweise Renatos Sohn durch die Verschwörer auch dann noch mit Dolchen bedrohen, wo die Entscheide schon längst gefallen sind. Aber die Regie ficht ohnehin nicht mit feiner Klinge, etwa wenn sie mit einer Hinrichtung die Szenerie als Richtstätte bekunden muss, als ob das Publikum nicht längst erkannt hätte, an welch düsterem Ort sich menschliche Ängste, Leidenschaft, Glück und Schrecken begegnen. Statt, dass die Regie etwa die extremen Kontraste im ersten Finale durch entsprechende Personenführung deutlich gemacht hätte, während sie die Solisten in einer Kette aufgereiht ihren Part singen lässt, konzentriert sie sich auf Bewegungen, die, wie jene des Balles, bloss Ratlosigkeit hinterlassen.

Orchestrale Finessen

Zurück zur musikalisch gelungenen und unbedingt empfehlenswerten Einstudierung: Bei all dem szenischen Klamauk agiert Diana Tomsche als Page Oscar insbesondere in der Höhe brillant, überzeugt Helena Zubanovich als Seherin Ulrica durch suggestive Linien, wünschte man sich auch für den düsteren Einsatz des «Re dell’abisso» den von Verdi so selten eingesetzten echten Contralto-Klang. Davide Damiani als der gehörnte Gatte Renato wird im letzten Akt zur treibenden Figur des Mordanschlags, mehr noch, er steigert sich zur eigentlich tragischen Gestalt, wenn in «O dolcezze perdute» das verlorene Glück mit seinem Hass kontrastiert. Aber auch in den kleineren Partien, Ivaylo Ivanov in der Partie des Matrosen Silvano oder Michael Leibundgut und Pier Dalas, die als Verschwörer Samuel und Tom ihren Hohn auf Renato ausgiessen, überzeugt die musikalische Produktion dieses Berner «Ballo in maschera». Dies gilt im selben Mass auch für den von Alexander Martin sicher und differenziert einstudierten Chor und Extrachor. Abgesehen von wenigen premierentypischen Unsicherheiten in der einen oder anderen Sängerkadenz führt Srboljub Dinic das Berner Symphonieorchester mit Feingefühl für die unzähligen Stimmungswechsel und die orchestralen Finessen; denn Verdis «Ballo in maschera» ist auch eine bestrickende Schule der Instrumentation.